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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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die Eitelkeit Dessen zu erkennen, der sie zur Schau stellt: überall dagegen, wo man Ordnung ohne Peinlichkeit, Ruhe ohne sklavische Furcht, Ueberfluß ohne Verschwendung herrschen sieht, kann man dreist sprechen: Ein Glücklicher gebietet hier.
    Ich für meinen Theil glaube, daß es kein zuverlässigeres Zeichen von wahrer Zufriedenheit der Seele giebt, als ein zurückgezogenes, auf die Häuslichkeit beschränktes Leben, und daß Solche, die ihr Glück immer nur auswärts suchen, bei sich zu Hause keines haben. Ein Familienvater, der sich in seinem Hause wohlfühlt, findet den Lohn für alle seine Sorgen und Mühen in dem beständigen Genusse der süßesten Gefühle der Natur. Er allein von allen Sterblichen ist der Herr seines eigenen Glückes, weil er wie Gott selbst glücklich ist, ohne etwas mehr zu wünschen, als was er genießt. Wie das unendliche Wesen, denkt er nicht daran, seinen Besitz zu vermehren, sondern ihn wahrhaft sein eigen zu machen, durch die vollkommenste Entwickelung aller Beziehungen und die zweckmäßigste Anordnung des Ganzen; bereichert er sich nicht durch neue Erwerbungen, so ist er dennoch reicher, durch den besseren Besitz dessen, was er hat. Er hatte nur den Genuß von dem Ertrage seiner Ländereien; jetzt hat er von denselben Ländereien abermals Genuß, indem er ihrer Bewirthschaftung vorsteht und sie unablässig beläuft. Sein Bedienter war ihm fremd; er macht ihn zu seinem Gute, zu seinem Kinde, er eignet ihn sich an. Er hatte ein Recht nur auf die Handlungen; er erwirbt sich eines auch auf den Willen. Er war nur Herr für sein Geld, er wird es nun durch die geheiligte Macht der Wohlthat und der Achtung und Liebe. Möge ihm das Glück seine Reichthümer rauben, die Herzen kann es ihm nicht rauben, die er sich gewonnen hat; Kinder ihrem Vater rauben kann es nicht: der ganze Unterschied ist, daß er gestern sie ernährte, morgen wird er von ihnen ernährt werden. So lernt man seiner Güter, seiner Familie und seiner selbst wahrhaft genießen; so wird jedes Kleinste, was zum Hausstande gehört, etwas Köstliches für den wackeren Mann, der den Werth desselben zu erkennen weiß: so macht er, weit entfernt, seine Pflichten als eine Last anzusehen, sich ein Glück daraus, und macht es sich durch seine herzerfreuende und edle Thätigkeit zum Ruhme und zur Lust, Mensch zu sein.
    Wenn diese kostbaren Vortheile gemißachtet oder wenig bekannt sind, und wenn selbst die kleine Zahl Derer, welche nach ihnen trachten, sie so selten erlangt, so hat dies nur eine und dieselbe Ursache. Es giebt einfache und doch erhabene Pflichten, die zu lieben und zu erfüllen die Sache Weniger ist; solcher Art sind die Pflichten des Familienvaters, die einem durch den Ton und die Unruhe, die in der großen Welt herrschen, zuwider werden, und deren man sich auch dann noch schlecht entledigt, wenn man keine anderen Beweggründe hat, sie zu erfüllen, als Geiz und Eigennutz. Mancher glaubt ein guter Familienvater zu sein, und ist weiter nichts als ein wachsamer Hausverwalter; das Gut kann gedeihen und das Haus sehr schlecht bestellt sein. Man muß auf einem höheren Standpunkte stehen, wenn mandiese wichtige Verwaltung richtig auffassen und mit glücklichem Erfolge leiten will. Das Erste, womit die Herstellung einer guten Hausordnung beginnen muß, ist, daß man nur rechtschaffene Leute im Hause leide, welche nicht einen geheimen Hang, die Ordnung zu stören, mit hineinbringen. Sind aber Knechtschaft und Rechtschaffenheit so vereinbar, daß man hoffen dürfte, Bediente zu finden, die rechtschaffene Leute wären? Nein, Milord, wenn man sie haben will, muß man sie nicht aufsuchen, man muß sie schaffen, und nur ein tüchtiger Mann versteht die Kunst, Andere tüchtig zu machen. Ein Heuchler möge sich immerhin mit dem Scheins der Tugend bekleiden, er wird die Liebe zu ihr keinem Menschen einflößen; wüßte er sie liebenswerth zu machen, so würde er sie selbst lieben. Was können frostige Ermahnungen, die das eigene Beispiel beständig Lügen straft, anders bewirken, als daß man denke, Der, welcher sie feilbietet, wolle mit der Leichtgläubigkeit Anderer sein Spiel treiben? Was für ein abgeschmackter Einfall, von Anderen zu verlangen, daß sie das thun, was man anpreist, wenn man es selbst nicht thut! Wer das, was er sagt, nicht thut, sagt es niemals auf rechte Art, denn es fehlt die Sprache des Herzens, welche rührt und überredet. Ich habe oft dergleichen plump berechnete Reden gehört, welche man vor den

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