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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Abwesenheit schlecht sprechen hört; denn sie wissen Alle, daß dies das Mittel ist, für einen feigen Schuft oder für einen Lügner zu gelten. Wenn einer von ihnen einen Andern anklagt, so geschieht es frei und offen, und nicht blos in Gegenwart Dessen, den er anklagt, sondern aller Kameraden, um an den Zeugen seiner Behauptungen Bürgen seiner ehrlichen Absicht zu haben. Persönliche Streitigkeiten finden zu ihrer Ausgleichung fast immer Vermittler unter den Leuten selbst, und die Herrschaft wird damit nicht belästigt; wenn es sich aber um das geheiligte Interesse der Herrschaft handelt, so geht es nicht an, daß die Sache im Geheimen bleibe: der Strafbare muß sich selbst anklagen oder von einem Andern angeklagt werden. Diese kleinen Gerichtshandlungen sind sehr selten, und finden immer nur bei Tische statt, wenn Julie, wie sie täglich thut, zu dem Mittag- und Abendessen ihrer Leute kommt; Herr von Wolmar nennt sie im Scherze ihre großen Geschäftslage. Nachdem sie Klage und Antwort ruhig angehört hat, dankt sie, wenn die Sache den Dienst angeht, dem Ankläger für seinen Eifer. Ich weiß, sagt sie zu ihm, daß du deinen Kameraden lieb hast; du hast immer gut von ihm gesprochen, und es ist lobenswerth, daß die Liebe zur Pflicht und zu dem, was Recht ist, dir über deine besonderen Freundschaften geht; ein treuer Diener und braver Mann muß so handeln. Dann, wenn der Angeschuldigte etwa nicht Unrecht hat, sagt sie, um ihn zu rechtfertigen, irgend Etwas zu seinem Lobe. Wenn er aber wirklich strafbar ist, so erspart sie ihm vor den Uebrigen einen Theil der Beschämung. Sie nimmt an, daß er etwas zu seiner Vertheidigung zu sagen habe, was er nicht vor so vielen Leuten vorbringen wolle, bestimmt ihm eine Stunde, um ihn besonders anzuhören, und da spricht denn sie oder ihr Mann mit ihm, wie es sich gehört. Sonderbar ist dabei, daß der strengste Theil von Beiden nicht am meisten gefürchtet ist, und daß man sich aus den ernsten Verweisen des Herrn von Wolmar weniger macht, als aus Juliens zu Herzen gehenden Vorwürfen. Er, indem er die Sprache der Gerechtigkeit und der Wahrheit führt, demüthigt die Schuldigen; sie macht ihnen ihr Vergehen bitter leid, indem sie an den Tag legt, wie weh es ihr selbst thut, ihnen ihr Wohlwollen einziehen zu müssen. Oft entlockt sie ihnen Thränen der Reue und Scham, und nicht selten wird sie beim Anblick ihrer Reue selber weich, in der Hoffnung, daß es nicht nöthig sein werde, ihr Wort wahr zu machen. Mancher, der alle die Mühe, welche man sich hier in dieser Hinsicht giebt, nach dem, was bei ihm oder bei seinen Nachbarn geschieht, beurtheilen wollte, wird darin etwas Unnützes oder zu Beschwerliches finden. Sie aber, Milord, der Sie von den Pflichten und Freuden des Familienvaters eine so hohe Meinung haben, und die natürliche Herrschaft kennen, welche Geist und Tugend über das menschliche Herz ausüben, begreifen die Wichtigkeit von dem Allen, und fühlen, wie groß der Erfolg sein müsse. Reichtum macht nicht reich, heißt es in dem Roman, „die Rose." Das Gut eines Menschen liegt nicht in seinem Kasten, sondern in dem Gebrauche, den er davon macht; denn man macht das, was man besitzt, nur durch die Anwendung zu seinem Eigenthume, und die Reichthümer sind stets leichter zu erschöpfen, als der Mißbrauch, daber man nicht im Verhältniß zu dem, was man ausgiebt, Genuß hat, sondern im Verhältniß zu der Art, wie man es thut. Ein Narr kann Barren Goldes in's Meer werfen und sagen, daß er Genuß davon habe; aber welcher Unterschied zwischen diesem unsinnigen Genusse und dem, welchen ein weiser Mann sich mit geringeren Mitteln zu bereiten weiß! Nur mittelst guter Ordnung und wohlgeregelter Verwendung, wodurch man den Gütern einen mannigfaltigeren und dauernderen Nutzen abgewinnt, kann man das Vergnügen in Glück verwandeln. Wenn somit in der Beziehung, welche wir uns zu den Dingen geben, der wahre Begriff des Eigenthums liegt, wenn mehr die Anwendung des Reichthums, als denen Erwerbung uns reich macht, was kann dem Familienvater mehr am Herzen liegen, als eine zweckmäßige und wohlberechnete Verwaltung seines Hauses, bei welcher Alles in die vollkommenste Beziehung zu ihm selbst unmittelbar tritt, und das Wohl jedes Gliedes zu dem des Hauptes beiträgt?
    Sind denn die Reichsten die Glücklichsten? Was thut also der Wohlstand zur Glückseligkeit? Aber ein wohlgeordneter Hausstand ist ein Bild von der Seele des Herrn. Wandvergoldungen, Pracht und Luxus geben nur

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