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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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dieses Feldzugs abwarten und bei der Armee bleiben, bis sie in's Winterquartier geht. Bei dieser Zögerung werden wir alle gewinnen. Da die Jahreszeit zu weit vorgerückt ist, um über die Alpen zu gehen, so wollen wir dort, wo Sie sind, den Winter zubringen, und erst im Anfange des Frühlings nach Italien reisen. Sagen Sie Herrn und Frau von Wolmar, daß ich diese neue Einrichtung treffe, um des rührenden Schauspiels, welches Sie so schön beschreiben, zu genießen und Frau von Orbe als Genossin ihres Hauses zu sehen. Fahren Sie fort, mein Theurer, mir mit derselben Genauigkeit zu schreiben; Sie werden mich mehr als je erfreuen. Meine Equipage ist weggenommen worden, und ich bin ohne Bücher; aber ich habe ja Ihre Briefe zu lesen.
     

Fünfter Brief.
Saint-Preux an Milord Eduard.
    Wie viele Freude machen Sie mir durch die Nachricht, daß wir den Winter in Clarens zubringen werden! Aber wie theuer lassen Sie sie mich dadurch erkaufen, daß Sie Ihren Aufenthalt bei der Armer verlängern! Am meisten kränkt es mich, daß ich jetzt deutlich sehe, daß Ihr Entschluß, den Feldzug mitzumachen, schon vor unserer Trennung feststand und daß Sie ihn mir verheimlicht haben. Milord, ich sehe den Grund dieser Verheimlichung ein und kann sie Ihnen nicht Dank wissen. Verachten Sie mich denn so sehr, daß Sie denken, es sei mir damit gedient, Sie zu überleben, oder haben Sie je die niedrige Gesinnung in mir gefunden, die irgend etwas, das mich fesselt, höher hielte, als die Ehre, mit meinem Freunde zu sterben? Wenn ich nicht werth war, Sie zu begleiten, hätten Sie mich nur in London lassen sollen, es würde mich weniger beleidigt haben, als daß Sie mich hierher schickten.
    Aus Ihrem letzten Briefe ist klar, daß in der That einer von den meinigen verloren gegangen ist, und es muß in Folge dessen Vieles von den beider, andern dunkel für Sie gewesen sein: aber die zu ihrem Verständniß nöthigen Aufklärungen werden sich bei Muße finden. Das Dringendste ist vor der Hand, daß ich Sie aus der Ungewißheit reiße, in welcher Sie sich über den geheimen Kummer der Frau von Wolmar befinden.
    Ich will Ihnen nicht den weitern Verlauf der Unterredung, welche ich mit ihr nach der Abreise ihres Gatten hatte, noch einmal erzählen. Es ist seitdem so Vieles vorgegangen, daß ich sie zum Theil wohl wieder vergessen habe, und wir haben denselben Gegenstand während seiner Abwesenheit so oft wieder aufgenommen, daß ich Ihnen nur den wesentlichen Inhalt mittheilen will, um nicht zu unnützen Wiederholungen genöthigt zu sein.
    Sie hat mir also gesagt, daß der Mann, der Alles that, um sie glücklich zu machen, doch zugleich der einzige Urheber all ihres Leides wäre, und daß sie um so mehr litte, je aufrichtiger sie beide sich liebten. Sollten Sie es glauben, Milord? Dieser kluge, vernünftige, von jeder Art von Laster so weit entfernte, den menschlichen Leidenschaften so wenig unterworfene Mann glaubt nichts von dem, was den Tugenden erst einen Werth giebt, und bei aller Unschuld eines vorwurfsfreien Lebens trägt er im Grunde seines Herzens den grauenhaften Frieden der Bösen. Die Folgerung, die sich aus diesem Contraste ziehen ließe, vermehrt noch Juliens Schmerz, und es scheint, daß sie es ihm eher verzeihen würde, den Urheber seines Daseins nicht zu erkennen, wenn er mehr Gründe hätte, ihn zu fürchten, oder mehr Dünkel, um ihm zu trotzen. Wenn ein Mensch, der sich strafbar fühlt, sein Gewissen auf Kosten seiner Vernunft beschwichtigt, wenn Einer, der philosophische Systeme baut, es sich zur Ehre schätzt, anders zu denken als der Pöbel, so sind solche Verirrungen wenigstens begreiflich; aber, fährt sie seufzend fort, für einen so rechtschaffenen und auf sein Wissen so wenig eingebildeten Mann war es auch grade der Mühe werth, ungläubig zu werden!
    Man muß mit dem Charakter der beiden Gatten vertraut sein, man muß sie sich im Schoße ihrer Familie denken, wie sie einer im andern für die ganze Welt Ersatz finden, man muß die Einigkeit kennen, die zwischen ihnen in allem Uebrigen herrscht, um zu begreifen, wie sehr ihre Meinungsverschiedenheit über diesen einen Punkt dazu geeignet ist,den Reiz ihres Zusammenlebens zu trüben. Herr von Wolmar, der im griechischen Ritus aufgezogen ist, war nicht der Mann dazu, die Abgeschmacktheit eines so lächerlichen Cultus zu ertragen. Seine Vernunft, dem einfältigen Joch, das man ihm auflegen wollte, zu sehr überlegen, schüttelte es bald mit Verachtung ab, und indem er damit

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