Julie oder Die neue Heloise
Trotz werden sie dem Menschenherzen stets theuer sein. Ha! Wollet nur Frauen und Mütter sein, wollet nur, und die sanfteste Herrschaft, die es auf Erden giebt, würde die geachtetste sein.
Am Schlusse dieser Unterredung bemerkte Julie, daß seit Henriettens Ankunft Alles eine neue Leichtigkeit gewonnen habe. Es ist gewiß, sagte sie, daß ich weit weniger Mühe und Kunst nöthig gehabt hätte, wenn ich einen Wetteifer zwischen den beiden Brüdern häte rege machen wollen; aber dieses Mittel scheint mir zu gefährlich; ich will lieber mehr Mühe haben und nichts wagen. Henriette hat dem nun abgeholfen: da sie von anderem Geschlechte und älter ist, da beide sie wie närrisch lieben und da sie Verstand über ihr Alter hat, so gebrauche ich sie gewissermaßen als die erste Gouvernante meiner Knaben, und mit um so größerem Erfolg, als das, was sie ihnen sagt, ihnen weniger verdächtig ist.
Was Henriette betrifft, so ist ihre Erziehung meine Sache; aber hier treten so ganz andere Grundsätze ein, daß sie ein besonderes Gespräch verdienen; wenigstens kann ich wohl im Voraus sagen, daß es schwer sein wird, den Gaben, die sie von der Natur hat, etwas hinzuzuthun, und daß sie ihrer Mutter selbst gleichkommen wird, wenn irgend Jemand auf der Welt es vermag.
Milord, man erwartet Sie von Tage zu Tage, und dieser Brief sollte wohl mein letzter von hier sein. Aber ich kann mir denken, was Ihren Aufenthalt bei der Armee verlängert, und ich zittere deswegen. Julie ist nicht weniger unruhig; sie ersucht Sie, uns öfter Nachrichten zukommen zu lassen, und beschwört Sie zu bedenken, wie Sie die Ruhe Ihrer Freunde aufs Spiel setzen, indem Sie Ihre Person wagen. Ich für mein Theil habe Ihnen nichts zu sagen. Thun Sie Ihre Schuldigkeit: ein furchtsamer Rathschlag kann ebensowenig aus meinem Herzen kommen, als dem Ihrigen zu nahen wagen. Theurer Bomston, ich weiß es nur zu wohl, der einzige deines Lebens würdige Tod wäre, dein Blut für den Ruhm deines Vaterlandes zu vergießen; aber bist du keine Rechenschaft Dem schuldig, der das seinige nur für dich erhalten hat?
Vierter Brief.
Milord Eduard an Saint-Preux.
Ich sehe aus Ihren beiden letzten Briefen, daß mir ein früherer fehlt, wahrscheinlich der erste, den Sie mir zur Armee geschrieben haben, und in welchem sich die Aufschlüsse befanden, die Sie mir über den geheimen Kummer der Frau von Wolmar geben wollten. Ich habe diesen Brief nicht erhalten und vermuthe, daß er in dem Felleisen eines Couriers gewesen, den man uns aufgehoben hat. Wiederholen Sie mir also seinen Inhalt, lieber Freund! mein Kopf findet sich nicht heraus, und mein Herz ist voll Unruhe, denn noch einmal: wenn nicht in Juliens Seele Glück und Frieden wohnen, wo soll man sie hienieden suchen?
Beruhigen Sie sie wegen der Gefahren, denen sie mich ausgesetzt glaubt. Wir haben es mit einem Feinde zu thun, der zu geschickt ist, um uns welche bestehen zu lassen; mit einer Handvoll Menschen macht er unsre ganzen Streitkräfte unnütz, und raubt uns überall die Gelegenheit, ihn anzugreifen. Indessen, da wir sehr voll Selbstvertrauen sind, so könnten wir wohl über Schwierigkeiten hinausgehen, die ein besserer General für unübersteiglich achten würde, und könnten die Franzosen endlich zwingen, uns zu schlagen. Ich prophezeihe, daß wir unsre ersten Erfolge theuer bezahlen werden, und daß die gewonnene Schlacht von Tettingen den Verlust einer in Flandern für uns nach sich ziehen wird. Wir haben einen großen Führer uns gegenüber und, was mehr ist, der das Vertrauen seiner Truppen besitzt. Wenn der französische Soldat sich auf seinen General verlassen kann, so ist er unüberwindlich; umgekehrt hat man leichtes Spiel mit ihm, wenn er von Höflingen commandirt ist, die er verachtet, und das ist so oft der Fall, daß man nur die Hofintriguen und die Gelegenheit abzuwarten braucht, um mit aller Sicherheit die bravste Nation des Continents zu besiegen. Sie wissen es selbst ganz gut. Als Lord Marlborough die kriegerische Miene und Haltung eines bei Blenheim gefangenen Soldaten sah, sagte er zu ihm: Wenn fünfzigtausend Leute wie du bei der französischen Armee gewesen wären, würde sie sich nicht so haben schlagen lassen.
Morbleu!
antwortete der Grenadier, wir hatten Leute genug, wie ich, es fehlte uns nur Einer wie Sie. Nun commandirt dermalen ein Mann wie Der die französische Armee, und der unsrigen fehlt er; wir aber denken an dergleichen nicht.
Gleichviel, ich will die weiteren Bewegungen
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