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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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zugleich Alles von sich warf, was von einer so verdächtigen Autorität an ihn kam, wurde er Atheist, weil er nicht anders als Gott verkennen konnte.
    In der Folge, da er immer in katholischen Ländern lebte. fand er nicht Gelegenheit, sich von dem christlichen Glauben durch die Form, in welcher er dort bekannt wird, eine bessere Meinung zu bilden. Er lernte von der Religion nichts kennen, als was das Interesse ihrer Diener ausmacht. Er sah, daß auch dort Alles in eitlen Possen bestand, wenn auch ein wenig subtiler mit nichtsbedeutenden Worten überkleidet; er nahm wahr, daß alle „ordentlichen Leute" dort einstimmig seiner Ansicht waren und mit derselben gar nicht hinter dem Berge hielten, daß die Geistlichkeit selbst, wenn auch mit etwas mehr Vorsicht, sich heimlich über das lustig machte, was sie öffentlich lehrte, und er hat mir oft versichert, daß er in einem langen Zeitraum und mit vielem Suchen überhaupt nur drei Priester gefunden hätte, die an Gott glaubten
[Gott verhüte, daß ich diesen harten und gewagten Behauptungen beipflichten wollte. Es ist aber eine Thatsache, daß sie von vielen Leuten aufgestellt werden, deren Keckheit das Betragen des Klerus und aller Sekten nur zu sehr rechtfertigt. Zudem ich diese Note schreibe, bin ich weit entfernt, mich damit feig hinter die Coulissen zurückziehen zu wollen: ich will vielmehr hier meine Ansicht über diesen Punkt rund heraussagen. Ich glaube, kein wahrer Gläubiger kann unduldsam und verfolgungssüchtig sein. We
nn ich Obrigkeit wäre und das Gesetz Todesstrafe über die Atheisten verhängte, so würde ich damit anfangen, als Atheisten Jeden verbrennen zu lassen, der mir einen Andern als solchen denunciren würde.]
. Indem er redlich nach Aufklärung in diesen Dingen forschte, vertiefte er sich in die Dunkelheiten der Metaphysik, wo der Mensch keinen andern Führer hat, als die Systeme, mit welchen er daran geht. Nachdem er überall nur Zweifel und Widersprüche gefunden, ist er, als er endlich zu Christen kam, zu spät gekommen: sein Glaube hatte sich schon gegen die Wahrheit verschlossen, seine Vernunft war der Gewißheit nicht mehr zugänglich. Was ihm bewiesen wurde, diente mehr nur dazu, irgend eine ältere Meinung zu zerstören, als an deren Statt eine andere aufzubauen, und so kam er zuletzt dahin, alles Dogmatische,welcher Art es sein mochte, gleicherweise zu bestreiten: er gerieth aus dem Atheismus in den Skepticismus.
    So ist der Mann, den der Himmel dieser Julie bestimmte, deren schlichten Glauben und sanfte Frömmigkeit Sie kennen. Aber man muß so vertraut mit ihr gelebt haben wie ihre Cousine und ich, um zu wissen, welchen Hang zur Gottseligkeit diese zärtliche Seele von Natur hat. Es ist, als ob deshalb, weil dem Liebesbedürfniß, welches sie verzehrt, nichts Irdisches genugthut, dieses Uebermaß von sehnlichem Gefühl gezwungen sei, zu der Quelle selbst hinaufzusteigen.
    Sie ist nicht wie die heilige Therese ein verliebtes Herz, das sich über sich selbst täuscht und sich einen andern Gegenstand vorspiegelt, sondern ein wahrhaft unversiegliches Herz, das weder Liebe noch Freundschaft erschöpfen konnten, und das den Ueberfluß seiner Gefühle dem Wesen zuträgt, das allein würdig ist, sie in sich zu trinken
[Wie! Gott soll nur haben, was die Kreaturen übrig lassen? Im Gegentheil, was die Creaturen von dem menschlichen Herzen in Besitz nehmen können, ist so wenig, daß es doch leer ist, wenn man glaubt, es mit ihnen angefüllt zu haben. Um es auszufüllen, ist ein unendlicher Gegenstand nöthig.]
. Die Liebe zu Gott reißt sie nicht von den Geschöpfen los, giebt ihrem Wesen nichts Hartes und Schroffes. Alle ihre Herzensneigungen, aus derselben Ursache entsprungen, beleben nur eine die andere und werden dadurch desto reizender und süßer; ich wenigstens glaube, daß sie weniger gottselig sein würde, wenn sie ihren Vater, ihren Mann, ihre Kinder, ihre Cousine und mich weniger liebte.
    Das Sonderbarste ist, daß sie, je frömmer sie ist, desto weniger es zu sein glaubt, und daß sie sich über die Nüchternheit ihrer Seele beklagt, die es nicht genug versteht, Gott zu lieben. Man mag thun, was man will, sagt sie oft. das Herz hängt sich an den Gegenstand nur durch Vermittelung der Sinne oder der Einbildungskraft, welche sich an deren Stelle setzt; wie soll man aber die Unendlichkeit des allumfassenden Wesens sehen oder sich einbilden?
[Es ist gewiß, daß man die Seele anstrengen muß, um sie zu dem erhabenen Gedanken der

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