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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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ich so viel Fallstricke vermieden und so viel Opfer gebracht? Von der tiefsten Staffel der Schande hat sie es vermocht, sich zur höchsten Staffel der Ehre zu erheben; sie ist tausendmal achtungswerther, als wenn sie nie strafbar gewesen wäre. Sie ist gefühlvoll und tugendhaft, was braucht sie mehr, um uns ähnlich zu sein? Wenn sich die Fehltritte der Jugend nicht ungeschehen machen lassen, welches Recht habe ich dann auf mehr Nachsicht? Vor wem dürfte ich hoffen Gnade zu finden? Und auf welche Ehre könnte ich Anspruch machen, wenn ich ihr die Ehre versagte?
    Nun sieh, Cousine, während mein Verstand dies Alles sagt, lehnt mein Herz sich dagegen auf, und ohne daß ich erklären könnte warum, kann ich nicht recht dahin kommen, es gut zu heißen, daß Eduard diese Verbindung eingegangen, und daß sin Freund sich damit befaßt hat. O, die Meinung! die Meinung! .... Wie schwer ist es, ihr Joch abzuschütteln! Immer treibt sie uns zu Ungerechtigkeiten. Wird doch das vergangene Gute durch das gegenwärtige Böse ausgelöscht.Soll denn vergangenes Böse durch kein Gutes je können ausgelöscht werden?
    Ich habe meinem Manne meine Unruhe über Saint-Preux' Benehmen in dieser Angelegenheit sehen lassen. Er scheint sich zu schämen, sagte ich, gegen meine Cousine der Sache zu erwähnen. Schlechter Handlungen ist er nicht fähig, aber er ist schwach .... zu viel Nachsicht für die Verirrungen eines Freundes .... Nein, antwortete er mir, er hat seine Pflicht gethan, und ich weiß, daß er sie ferner thun wird; ich kann Ihnen nicht mehr sagen; aber Saint-Preux ist ein braver Mensch; ich stehe für ihn, und Sie werden mit ihm zufrieden sein .... Clara, es ist unmöglich, daß mich Wolmar täusche, und daß er sich täusche. Eine so bestimmte Antwort machte, daß ich in mich ging; ich überzeugte mich, daß alle meine Bedenken nur aus falscher Delikatesse entspringen, und daß ich, wenn ich weniger eitel und billiger wäre, Lady Bomston ihres Ranges würdiger finden würde.
    Aber lassen wir ein wenig Lady Bomston und kommen wir auf uns selbst zurück! Siehst du nicht ganz klar, indem du diesen Brief liesest, daß unsere Freunde eher zurückkommen werden, als wir sie erwartet hatten, und dein Herz — sagt es dir nichts? Klopft es nicht stärker als gewöhnlich, dieses zu zärtliche und dem meinigen nur zu ähnliche Herz? Denkt es nicht an die Gefahr, in vertraulichem Umgange mit einem geliebten Gegenstande zu leben, ihn alle Tage zu sehen, unter Einem Dache mit ihm zu wohnen? Und wenn meine Verirrungen mir nicht deine Achtung raubten, macht dir mein Beispiel nicht Angst um dich? Wie viel Besorgnisse um mich, die ich in meiner blinden Liebe verachtete, gaben dir nicht in unseren jungen Jahren Vernunft, Freundschaft und Ehrgefühl ein! Jetzt ist die Reihe an mir, meine süße Freundin, und ich habe noch mehr Recht, Gehör zu verlangen, denn ich habe die traurige Autorität der Erfahrung für mich. Höre mich also, solange es noch Zeit ist, damit du nicht, nachdem du die Hälfte deines Lebens damit hingebracht hast, meine Fehler zu beklagen, die andere Hälfte damit hinbringest, die deinigen zu beklagen. Vor Allem überlaß dich nicht dieser ausgelassenen Lustigkeit, welche diejenigen wohl bewahrt, die nichts zu fürchten haben, diejenigen aber in's Verderben stürzt, die in Gefahr sind. Clara, Clara! du spottetest einst über die Liebe, aber nur, weil du sie nicht kanntest; weil du ihre Pfeile noch nicht gefühlt hattest, glaubtest du dich über ihre Angriffe erhaben. Sie rächt sich nun, und das Lachen ist an ihr. Lerne ihrer verrätherischen Fröhlichkeit mißtrauen, oder vielmehr nimm dich in Acht, daß sie dir nicht eines Tages viele Thränen koste.
    Theure Freundin, es ist Zeit, dich dir selbst zu zeigen; denn bis jetzt hast du dich nicht recht gekannt; du hast dich über deinen Charakter getäuscht, und dich nicht nach deinem Werth zu schätzen verstanden. Du hast dich auf das Gerede der Chaillot verlassen; nach deiner muntern Laune hat diese geschlossen, daß du wenig Gefühl besäßest; aber ein Herz, wie das deinige, ging über ihre Sphäre hinaus. Die Chaillot war nicht dazu gemacht, dich zu verstehen; Niemand auf der Welt hat dich recht erkannt, außer ich; unser Freund selbst hat deinen Werth mehr nur geahnt, als wahrhaft aufgefaßt. Ich habe dich in deinem Irrthum gelassen, solange er dir von Nutzen sein konnte, jetzt da er dir verderblich werden würde, muß ich ihn dir benehmen.
    Du bist lebhaft, und hältst dich

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