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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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deshalb für wenig empfindsam. Armes Kind, wie täuschest du dich! Die Art deiner Lebhaftigkeit selbst beweist das Gegentheil: nimmt sie nicht immer ihre Richtung auf Gegenstände der Empfindung? Stammen nicht aus deinem Herzen alle Grazien deiner heiteren Laune? Mit deinen Spöttereien giebst du rührendere Beweise von inniger Theilnahme, als eine Andere mit ihren Artigkeiten. Du liebkosest in deinem Tollen; du lachst, aber dein Lachen dringt in die Seele; du lachst, aber so, daß man vor Zärtlichkeit Thränen vergießt, und gegen gleichgültige Personen sehe ich dich fast immer ernsthaft.
    Wenn du nichts weiter wärst, als was du für dein Wesen ausgiebst, sage, was bände uns dann so fest an einander, was hielte diese beispiellose Freundschaft zusammen? Durch welches Wunder sollte ein solches Liebesverhältniß sich vorzugsweise ein Herz ausgesucht haben, das der Anhänglichkeit so wenig fähig wäre? Wie? Die, welche nur für ihre Freundin gelebt hat, wäre unfähig zu lieben? Die, welche Vater, Gatten, Verwandte und Heimat verlassen wollte, um der Freundin zu folgen, wüßte nicht die Freundschaft allem Anderen vorzuziehen? Und was habe ich denn gethan, ich, die ich ein empfindsames Herz habe? Cousine, ich habe mich lieben lassen, und mit aller meiner Empfindsamkeit habe ich viel gethan, wenn ich dir mit einer Freundschaft vergalt, die der deinigen gleichkam.
    Diese Widersprüche haben dir von deinem Charakter die wunderlichste Vorstellung beigebracht, auf die eine tolle Person, wie du, je gerathen konnte, nämlich daß du zugleich in der Freundschaft glühend heiß, und in der Liebe kalt wärest. Da du die zärtliche Neigung dir nicht leugnen konntest, von welcher du dich durchdrungen fühltest, glaubtest du nur dieser allein fähig zu sein. Außer deiner Julie, meintest du, könne dir nichts auf der Welt das Herz bewegen: als ob es Herzen, die von Natur empfindsam sind, möglich wäre, nur für Einen Gegenstand zu empfinden, und als ob du auch mich recht hättest lieben können, wenn du fähig wärest, nichts außer mir zu lieben! Du fragtest scherzend, ob die Seele ein Geschlecht hätte. Nein, mein Kind, die Seele selbst hat kein Geschlecht; aber in ihren Affekten entspringt der Unterschied, und du fängst an, es nur zu gut zu fühlen. Weil dir der erste Liebhaber, der sich darbot, nicht das Innerste bewegt hatte, glaubtest du sogleich, daß es überhaupt nicht zu bewegen wäre; weil du für Den, der nach dir seufzte, keine Liebe fühltest, glaubtest du, sie für Niemand fühlen zu können. Als er dein Mann war, liebtest du ihn dennoch, und so sehr, daß sogar die Innigkeit zwischen uns beiden darunter litt; diese so wenig empfindende Seele wußte doch an die Stelle der Liebe ein Gefühl zu setzen, worin Zärtlichkeit genug lag, um einen braven Mann zufrieden zu stellen.
    Arme Cousine, es ist nun deine Sache, deine eignen Zweifel zu lösen, und wenn es wahr ist,
ch' un !freddo amante è mal sicuro amico

    [„Daß ein kalter Liebhaber ein wenig sichrer Freund ist.“ Metastasio.

Dieser Vers ist im Original umgekehrt, aber, mit Erlaubniß der schönen Damen, der ursprüngliche Sinn ist wahrer und schöner.]
    so fürchte ich sehr, daß ich jetzt einen Grund zu viel habe, auf dich zu zählen. Aber ich muß dir nur Alles sagen, wie ich es denke.
    Ich habe Verdacht, daß du, ohne es zu ahnen, weit eher geliebt hast, als du meinst, oder wenigstens, daß derselbe Hang, der mich in's Verderben riß, dich verführt hätte, wenn ich dir nicht zuvorgekommen wäre. Findest du es begreiflich, daß ein so natürliches und süßes Gefühl so lange zögern könne zu entstehen; findest du es begreiflich, daß man in unserem damaligen Alter mit einem jungen liebenswürdigen Manne ungestraft vertraulich leben könne, oder daß uns bei so vieler Uebereinstimmung in allen unsern Neigungen nur diese einzige nicht gemein gewesen wäre? Nein, mein Engel, du würdest ihn geliebt haben, ich bin fest davon überzeugt, wenn ich ihn nicht zuerst geliebt hätte. Weniger schwach und nicht weniger empfindsam, würdest duvernünftiger als ich gewesen sein, ohne glücklicher zu sein; aber welcher Hang hätte in deiner redlichen Seele den Abscheu vor Verrath und Untreue besiegen können? Die Freundschaft rettete dich vor den Fallstricken der Liebe; du sahst nichts weiter als einen Freund in dem Geliebten deiner Freundin, und kauftest so dein Herz auf Kosten des meinigen los.
    Diese Vermuthungen sind nicht einmal so blos Vermuthungen, wie du

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