Julie oder Die neue Heloise
Noth lustig machen, an der ich schuld bin, und die du dir zugezogen hast, um mich daraus zu befreien? In deinem Herzen ist kein Gefühl, an dem mein Herz nicht irgend eine Ursache zur Erkenntlichkeit fände, Alles, deine Schwäche nicht ausgenommen, ist bei dir das Werk der Tugend. Das ist nun aber, was mich tröstet und froh macht. Mich mußte man bedauern und über meine Fehltritte weinen; aber über die falsche Scham kann man spotten, die dich verleitet, über eine Liebe zu erröthen, die so rein ist wie du selbst.
Wieder auf die italienische Post zu kommen, und fort einen Augenblick mit dem Moralisiren! Es hieße mein altes Recht zu sehr mißbrauchen; denn sein Auditorium einzuschläfern ist wohl erlaubt, nicht aber, es ungeduldig zu machen. Nun denn also! Diese Post, die ich so spät ankommen lasse, was hat sie gebracht? Nichts als Gutes über die Gesundheit unserer Freunde, und überdies einen großen Brief für dich. Aha! Gut, ich sehe dich schon lächeln und Athem schöpfen; wenn der Brief nur da ist, so wartest du geduldiger auf seinen Inhalt.
Er hat indessen auch so noch seinen Werth, selbst nachdem er sich so sehnlich hatte erwarten lassen; denn er athmet eine so .... aber ich will dir ja nur Neuigkeiten mittheilen, und wahrhaftig, was ich eben sagen wollte, ist nichts weniger als das.
Mit diesem Briefe ist ein anderer von Milord Eduard für meinen Mann und viel Freundliches für uns angekommen. Dieser enthält wirkliche Neuigkeiten, und die um so unerwarteter sind, als der erstere nichts davon sagt. Sie sollten am andern Tage nach Neapel abreisen, wo Milord einige Geschäfte hat, und von wo aus sie den Vesuv besuchen werden .... Begreifst du, Liebe, was das so Anziehendes sein kann? Wenn sie dann nach Rom zurück sein werden, Clara, denke dir, stelle dir vor .... Eduard ist auf dem Punkte zu heiraten, nicht, dem Himmel sei Dank, diese abscheuliche Marquise; er deutet im Gegentheil an, daß es sehr schlecht mit ihr geht. Wen denn? .... Laura, die liebenswürdige Laura, die …. aber doch .... was für eine Partie! .... Unser Freund sagt kein Wort darüber. Gleich darauf werden sie alle drei abreisen, und hierher kommen, um sich über das Weitere zu bestimmen. Mein Mann hat mir nicht gesagt, wie; aber er rechnet noch immer darauf, daß Saint-Preux uns bleiben wird.
Ich gestehe dir, daß sein Stillschweigen mich beunruhigt. Ich sehe in der ganzen Sache nicht klar; es ist da etwas von wunderlicher Situation und seltsamem Spiele des menschlichen Herzens, das man nicht begreift. Wie konnte sich ein so tugendhafter Mann in eine so dauernde Leidenschaft für ein so schlechtes Weib, wie diese Marquise, verstricken? Wie konnte sie selbst bei ihrem heftigen und grausamen Charakter eine so lebhafte Liebe für einen Mann fassen und nähren, der ihr so wenig gleicht, falls man anders eine Raserei, die fähig ist, zu Verbrechen zu führen, mit dem Namen Liebe beehren kann? Wie konnte ein so edles, so zärtliches, so uneigennütziges Herz, wie das Lauras,die früheren Unordnungen ihres Lebens ertragen? Wie hat sie sich gerade durch diesen trügerischen Hang herausreißen lassen, der nur dazu gemacht ist, ihr Geschlecht irre zu leiten? Wie hat die Liebe, die so viele ehrbare Frauen zu Schanden macht, damit zu Stande kommen können, eine herzustellen? Sage, Clara, zwei Herzen auseinander bringen, die sich liebten, ohne für einander zu passen, zwei vereinigen, die für einander passen, ohne sich zu verstehen, der Liebe zum Siege über die Liebe selbst verhelfen, aus dem Abgrund des Lasters und der Schmach das Glück und die Tugend heraufholen, seinen Freund von einem Ungeheuer befreien, indem man ihm eine Gefährtin so zu sagen erschafft .... eine, die unglücklich, ja wohl, aber doch liebenswürdig, selbst sittsam, wenigstens wenn man das, wie ich wohl zu glauben wage, wieder werden kann: sage, kann Der, welcher das Alles gethan hat, strafbar sein? Und Der, welcher es gelitten, tadelnswerth?
Lady Bomston wird also herkommen! her zu mir, mein Engel! Was dünkt dich davon? Allem nach, was für ein Wunder muß nicht dieses erstaunliche Mädchen sein, das die Erziehung in's Verderben gestürzt, und das sein Herz gerettet hat, für das die Liebe der Weg zur Tugend wurde! Wer müßte sie mehr bewundern als ich, der es gerade umgekehrt erging, da mein Herz allein mich irre führte, während Alles sich vereinigte, mich recht zu leiten? Ich erniedrigte mich freilich weniger, aber habe ich mich auch so erhoben, wie sie? Habe
Weitere Kostenlose Bücher