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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Marquise; nachdem ich sie gesehen hatte, suchte ich, erschreckt durch ihre Schönheit und Schlauheit, die edle Seele ihres alten Liebhabers ganz von ihr loszumachen. Begierig, ihn nach einer Seite zu lenken, wo ich keine Gefahr sah, sprach ich ihm von Laura mit der Achtung und Bewunderung, die sie mir eingeflößt hatte; ich hoffte, indem ich sein stärkstes Attachement mit Hülfe des andern lockerte, endlich alle beide zerreißen zu können.
    Er ging anfänglich auf meine Projecte ein, übertrieb sogar die Gefälligkeit; und vielleicht in der Absicht, mich für meine Zudringlichkeit durch ein wenig Unruhe zu bestrafen, heuchelte er noch mehr Zuvorkommenheit für Laura, als er ihr zu erweisen sich innerlich getrieben glaubte. Was soll ich Ihnen jetzt sagen? Seine Zuvorkommenheit ist noch immer dieselbe, aber er heuchelt nicht mehr. Sein Herz, erschöpft von so vielen Kämpfen, befand sich in einem Zustande von Schwäche, der ihr zu Gute kam. Es würde jedem Anderen bei ihr schwer werden, Liebe lange zu heucheln; Sie können sich also denken, wie es dem Gegenstand der Leidenschaft, von der sie verzehrt wird, selber ergehen muß. In der That, man kann diese Unglückliche nicht sehen, ohne von ihrer Miene und von ihrer Gestalt gerührt zu werden; ein schmachtender Ausdruck, der von ihrem reizenden Gesichte nicht weicht, bricht die Lebhaftigkeit ihrer Mienen, und macht sie noch interessanter; gleich den Sonnenstrahlen, welche sich durch Wolken stehlen, senden ihre vom Schmerz gebrochenen Augen ein noch verführerischeres Feuer aus. In ihrer gedemüthigten Haltung vereinigen sich erst recht alle Grazien der Züchtigkeit; man kann sie nicht sehen, ohne sie zu beklagen, sie nicht reden hören, ohne ihr Achtung zu zollen; kurz, ich muß zur Rechtfertigung meines Freundes sagen, daß ich nur zwei Menschen auf der Welt kenne, die bei ihr außer Gefahr sein würden.
    Er ist verstrickt, Wolmar! Ich sehe es, ich fühle es, ich gestehe es Ihnen mit verbittertem Herzen. Ich zittere, wenn ich daran denke, wie weit er in seiner Verirrung sich und Alles, was er sich schuldig ist, vergessen könnte. Mir ist bange, daß jene unerschrockene Tugendliebe, welche ihm die Kraft giebt, die öffentliche Meinung zu verachten, ihn zum anderen Extreme treiben, ihn verleiten könnte, auch den heiligen Gesetzen des Anstandes und der Schicklichkeit Hohn zu sprechen.
    Eduard Bomston eine solche Ehe eingehen! .... Denken Sie sich ! .... Unter den Augen seines Freundes! .... der es erlaubt! .... der es duldet! .... Dessen, der ihm Alles verdankt! Er muß mir das Herz ausreißen mit seiner Hand, ehe ich sie ihn so prosaniren lasse.
    Indeß, was ist zu thun? Wie soll ich mich anstellen? Sie kennen seine Heftigkeit, man richtet mit Reden bei ihm nichts aus, und die seinigen sind seit einiger Zeit nicht geeignet, meine Besorgnisse zu dämpfen. Ich that anfangs, als verstünde ich ihn nicht; ich ließ ihn die Stimme der Vernunft indirect in allgemeinen Maximen hören: da versteht er denn mich nicht. Wenn ich versuche, ihm ein wenig lebhafter zu Herzen zu sprechen, so giebt er mir Sentenzen zurück, und glaubt mich widerlegt zu haben; wenn ich dringender werde, fährt er auf, nimmt einen Ton an, von dem ein Freund nichts wissen sollte, und auf den die Freundschaft nichts zu erwidern hat. Glauben Sie mir, ich bin bei dieser Gelegenheit nicht scheu noch zaghaft: wenn man seiner Pflicht dient, ist man nur zu sehr in Versuchung, trotzig zu sein, aber es handelt sich hier nicht um Stolz, es ist darum zu thun etwas auszurichten, und verfehlte Versuche können die besten Mittel unbrauchbar machen. Ich getraue mir kaum, mich in irgend eine Erörterung mit ihm einzulassen, denn ich fühle täglich mehr die Wahrheit der Bemerkung, die Sie mir gemacht haben, daß er mir im Raisonnement überlegen ist, und daß man ihn nicht durch Disputiren erhitzen müsse.
    Er scheint übrigens ein wenig erkältet gegen mich: man möchte sagen, daß er sich vor mir scheut. Wie doch ein Mann bei so vieler Ueberlegenheit in jeder Hinsicht durch einen schwachen Augenblick herabsinkt! Der große, hochsinnige Eduard hat Furcht vor seinem Freunde, seinem Geschöpfe, seinem Zögling. Mir scheint, einigen Worten nach, die er über die Wahl seines Aufenthaltsortes, falls er sich nicht verheiratete, fallen ließ, als wolle er meine Treue mit Hülfe meines Interesses in Versuchung führen. Er weiß wohl, daß ich ihn nicht verlassen darf noch will, Wolmar! Ich werde meine Pflicht thun und meinem

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