Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
Vom Netzwerk:
ich warten, bis ich ihn kennen gelernt habe. Er ist recht hübsch, hat aber das steife Wesen des Volkes angenommen, unter welchem er gelebt hat. Er ist ernst und kalt, ich finde ihn sogar ein wenig hochnäsig; ich fürchte sehr für die kleine Person, daß er, anstatt ein so guter Mann zu sein, wie die unsrigen, ein Bißchen den Herrn und Meister spielen wird. Mein Vater hat sich so gefreut, mich zu sehen, daß er, um mich zu umarmen, von dem Bericht über eine große Schlacht aufstand, welche die Franzosen in Flandern gewonnen haben, recht wie um die Prophezeihung des Freundes unseres Freundes wahr zu machen. Welch Glück, daß er nicht dabei war! Kannst du dir den braven Eduard vorstellen, die Engländer fliehen sehend und selbst fliehend? .... Nie; nie! .... Er hätte sich eher hundert Mal todt machen lassen.
    Aber apropos von unseren Freunden, wir haben lange keine Briefe von ihnen erhalten. Gestern, dünkt mich, war ja wohl Posttag. Wenn du Briefe von ihnen erhältst, wirst du hoffentlich nicht vergessen, welchen Antheil ich nehme.
    Adieu, Cousine, ich muß fort. Ich erwarte Nachricht von dir in Genf, wo wir morgen Mittag anzukommen gedenken. Uebrigens thue ich dir kund und zu wissen, daß auf die eine oder die andere Art, die Hochzeit nicht ohne dich stattfinden wird, und wenn du nicht nach Lausanne kommen willst, so komme ich mit meinem ganzen Trupp, und wir plündern Clarens und trinken allen Wein der Welt aus.
     
Zweiter Brief.
Frau v. Orbe an Frau v. Wolmar.
    Herrlich, Schwester Predigerin! Aber du machst dir, dünkt mich, ein Bißchen zu viel Rechnung auf eine heilsame Wirkung deiner Predigten. Ohne entscheiden zu wollen, ob sie deinen Freund vor Zeiten besonders eingelullt haben mögen, will ich dir nur sagen, daß sie deine Freundin heute nicht im geringsten einlullen; die, welche ich gestern Abend erhalten habe, hat, weit entfernt, mir Lust zum Schlaf zu machen, ihn mir vielmehr die ganze Nacht geraubt. Ich kann mich nur vor der Paraphrase meines Argus in Acht nehmen, wenn er diesen Brief zu Gesicht bekommt. Aber ich will schon vorbeugen, und ich schwöre dir, daß du dir lieber die Finger verbrennen sollst als ihn ihm zeigen.
    Wenn ich mich darauf einlassen wollte, dir Punkt für Punkt nachzugehen, so würde ich in deine Rechte greifen; besser, ich folge meinem eigenen Kopfe: und dann, um mir ein sittsameres Ansehen und dir nicht zu leichtes Spiel zu geben, will ich auch nicht gleich vorne von unseren Reisenden und von der italienischen Post erzählen. Schlimmsten Falls, wenn es mir ja passiren sollte, schreibe ich meinen Brief um, und stelle den Anfang an's Ende, Sprechen wir von der sogenannten Lady Bomston.
    Schon dieser Titel empört mein Innerstes, Ich würde es Saint-Preux nie verzeihen, wenn er litte, daß ihn diese Dirne erwürbe, und Eduarden nie, wenn er ihn ihr gäbe, und dir nie, wenn du ihn anerkenntest, Julie v. Wolmar eine Laurette Pisana in ihr Haus aufnehmen! Sie neben sich dulden! Hei, Kind, was fällt dir ein? Was für eine harte Sorte Sanftmuth ist das! Weißt du nicht, daß die Luft, die dich umgiebt, der Schande tödtlich ist? Könnte die arme Unglückliche es wagen, ihren Athem mit dem deinigen zu vermischen? Könnte sie sich neben dir wohlfühlen? Es würde ihr schlimmer zu Muthe sein, als einem Besessenen, der Reliquien angerührt hat; dein bloßer Blick würde sie in die Erde schmettern, dein bloßer Schatten sie tödten.
    Ich verachte Laura nicht, Gott bewahre mich! Im Gegentheil, ich bewundere sie, und achte sie um so mehr, als eine solche Umkehr heroisch und selten ist. Ist das aber genug, um dir zu den erniedrigenden Vergleichungen ein Recht zu geben, mit welchen du dich selbst zu entweihen wagst? Als ob auch bei ihren größten Schwachheiten eine wahre Liebe nicht die Person behütete, und die Ehre nur noch eifersüchtiger machte! Aber ich versteht dich, und entschuldige dich. Die niedrigen Gegenstände, aus der Ferne gesehen, wirren sich jetzt vor deinem Blicke ineinander; in deinem erhabenen Aufschwung siehst du die Erde an, und erkennst die Unebenheiten nicht mehr; deine fromme Demuth macht sich Alles, auch selbst deine Tugend, zu Nutze.
    Ei, was hilft das Alles? Kommen die natürlichen Gefühle deshalb weniger zum Vorschein? Treibt die Eigenliebe weniger ihr Spiel? Wider Willen fühlst du dein Inneres widerstreben. Das rechnest du dir als Stolz an, möchtest es bekämpfen, schiebst es auf die Meinungen, Gutes Mädchen! Und seit wann beruht der Schimpf, der dem Laster

Weitere Kostenlose Bücher