Julie oder Die neue Heloise
obgleich dunkler Herkunft: er genießt der öffentlichen Achtung, und verdient sie. Mit dem Allen könnte er der Letzte aller Menschen sein, und man müßte sich keinen Augenblick besinnen; denn es ist besser von Adel abzusehen als von Tugend, und die Frau eines Köhlers ist achtungswerther als die Maitresse eines Fürsten
[Dies ist die Stelle, welche M. de Malesherbes in dem für Madame de Pompadour bestimmten Exemplare wegließ, indem er einen besonderen Caoton drucken und in das Exemplar einkleben ließ. S. Bekenntn. Th.7. S.41. D. U.]
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Ich sehe wohl auch noch eine andere Art von Verlegenheit darin, daß du dich zuerst erklären müßtest, denn wenn er es wagen soll nach dir zu streben, mußt du, wie du fühlen wirst, es ihm erlauben, und dies ist eine der gerechten Strafen der Ungleichheit, daß sie dem Höhergestellten oft demüthigende Avancen auferlegt. Was dieses Bedenken betrifft, so verzeihe ich es dir, und ich gestehe dir, daß es mir sehr ernster Natur scheinen würde, wenn ich nicht Bedacht nähme, die Schwierigkeiten zu heben. Ich hoffe, daß du Vertrauen genug zu deiner Freundin hast, um anzunehmen, daß dies geschehen werde, ohne dich irgendwie bloßzustellen. Meinerseits rechne ich genug auf den Erfolg, um mich der Sache mit Vertrauen zu unterziehen; denn was ihr mir auch beide sonst schon über die Schwierigkeit gesagt habt, eine Freundin in eine Geliebte umzuwandeln, wenn ich ein Herz recht kenne, in welchem ich nur zu gut lesen gelernt habe, so glaube ich nicht, daß in diesem Falle das Unternehmen einen großen Aufwand von Geschicklichkeit meinerseits erfordern werde. Ich schlage dir also vor, diese Unterhandlung mir zu überlassen, damit du dich dem Vergnügen, welches dir seine Rückkunft verursachen wird, ohne Verheimlichung, ohne inneres Nagen, ohne Gefahr und ohne alle Ursache zur Scham hingeben könnest. Ach, Cousine, welch ein Entzücken wäre es für mich, zwei Herzen auf immer vereinigen zu können, die so für einander geschaffen und in dem meinigen seit so langer Zeit unzertrennlich verbunden sind! Würde diese Verbindung doch eine noch innigere, wenn es möglich ist! Seid hinfort für euch und für mich nur Eins. Ja, meine Clara, du wirst auch deiner Freundin wieder dienen, indem du die eigene Liebe krönst. Ich werde meiner Gefühle nur um so gewisser sein, wenn ich sie in Bezug auf euch beide nicht mehr werde unterscheiden können.
Wenn dir, meiner Gründe ungeachtet, dieses Project nicht zusagt, so ist mein Rath, daß wir um jeden Preis diesen gefährlichen Menschen von uns entfernen, der sich immer einer von uns beiden furchtbar macht; denn unter allen Umständen ist an der Erziehung unserer Kinder immer noch weniger gelegen, als an der Tugend ihrer Mütter. Ich lasse dir Zeit, über das Alles während deiner Abwesenheit nachzudenken; nach deiner Rückkehr wollen wir weiter davon sprechen.
Ich halte es für zweckmäßig, dir diesen Brief direct nach Genf zu schicken, weil du nur eine Nacht in Lausanne geblieben bist, und erdich dort nicht mehr finden würde. Bringe mir recht genaue Auskunft über den kleinen Freistaat mit. Nach all dem Guten, was man über diese reizende Stadt sagt, würde ich dich glücklich schätzen, daß du sie siehst, wenn ich Freuden hoch anschlagen könnte, die man nur auf Kosten seiner Freunde erwirbt. Ich habe den Luxus nie geliebt, und jetzt hasse ich ihn, weil er dich mir, mich dünkt, auf so viele Jahre raubt. Mein Kind, unseren Hochzeitstaat einzukaufen, gingen wir beide nicht nach Genf; aber was für ein ausgezeichneter Mensch dein Bruder auch sein möge, zweifele ich doch, daß deine Schwägerin in ihren flandrischen Spitzen und in ihren Stoffen aus Indien glücklicher sein werde, als wir in unserem einfachen Putze. Indessen trage ich dir doch, ungeachtet meines Grolls auf, ihn zu veranlassen, daß er seine Hochzeit in Clarens feiere. Mein Vater schreibt in derselben Absicht an den deinigen und mein Mann an die Mutter der Braut. Hierbei die Briefe; gieb sie ab und unterstütze die Einladung mit deinem wieder wachsenden Credit; das ist Alles, was ich thun kann, daß das Fest nicht ohne mich stattfinde, denn ich erkläre dir, daß ich um keinen Preis meine Familie verlassen will. Adieu, Cousine, ein Wort Nachricht von dir, und laß mich wenigstens wissen, wann ich dich erwarten darf. Es ist der zweite Tag, daß du fort bist, und ich kann schon nicht mehr so lange Zeit ohne dich sein.
N. S. Während ich diesen unterbrochenen Brief beendigte,
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