Julie oder Die neue Heloise
anhaftet, auf der bloßen Meinung? Welche Gemeinschaft kannst du dir möglich denken mit einer Frau, vor welcher man die Keuschheit, die Ehrbarkeit, die Tugend nicht nennen kann, ohne ihr Thränen der Scham auszupressen, ohne ihre Schmerzen wieder aufzustacheln, ohne, möchte ich fast sagen, ihrer Reue Hohn zu sprechen? Glaube mir, mein Engel, man muß Laura hoch achten, aber nicht sie bei sich sehen. Sie vermeiden ist eine Rücksicht, die ihr sittsame Frauen schuldig sind; sie würde im Umgange mit uns zuviel zu leiden haben.
Höre, dein Herz sagt dir, daß diese Heirat nicht zu Stande kommen sollte; heißt das nicht dir sagen, daß sie nicht zu Stande kommen wird? .... Unser Freund, sagst du, spricht nicht davon in seinen Briefen, in dem Briefe, den er, sagst du, mir schreibt? …. Und dieser Brief, sagst du, ist sehr lang? …. Und dann was dein Mann gesagt hat .... Er ist ein Heimlichkeitskrämer, dein Mann .... Ihr seid ein paar Spitzbuben und gegen mich einverstanden; aber .... Was er über die Sache meint, war übrigens hier von keiner Erheblichkeit .... sonderlich für dich, die du den Brief gesehen hattest .... auch für mich nicht, die ich ihn nicht gesehen habe .... denn ich bin deines Freundes, meines Freundes gewisser, als aller Philosophie der Welt.
Heida, hat er sich nicht schon wieder eingeschlichen, der Zudringliche, der kommt, man weiß nicht wie? Meiner Treu, damit er sich nicht wieder so einschleiche, da ich nun einmal auf das Kapitel gekommen bin, muß ich es nur gleich erschöpfen, um nicht zwei Mal darauf zu kommen.
Verlieren wir uns nicht in das Reich der Träume! Wenn du nicht Julie gewesen wärest, wenn dein Freund nicht dein Liebhaber gewesen wäre, wer weiß, was er dann für mich gewesen wäre; ich weiß nicht, was ich selbst gewesen wäre: soviel weiß ich ganz gewiß, daß, wenn ihn sein böser Stern mir zuerst zugeführt hätte, es um seinen armen Kopf geschehen war, und daß ich, selber toll oder nicht, ihn unfehlbar toll gemacht haben würde. Aber was nutzt das, was gewesen sein könnte? Sprechen wir von dem, was ist. Meine beste That war, dich zu lieben. Von unseren ersten Jahren an ist mein Herz in dem deinigen aufgegangen! wie zärtlich und gefühlvoll ich gewesen sein mag, ich konnte nicht mehr aus mir selbst lieben und fühlen: alle meine Gefühle kamen mir von dir: du allein warst mir Alles, und ich lebte nur, um deine Freundin zu sein. Das ist es, was dir Chaillot bemerkt hat: darnach beurtheilte sie mich. Antworte, Cousine, hat sie sich getäuscht?
Ich machte deinen Freund zu meinem Bruder, du weißt es. Der Geliebte meiner Freundin war mir wie der Sohn meiner Mutter. Nicht mein Verstand, mein Herz that diese Wahl. Ich hätte noch empfindsamer sein können, und würde ihn nicht anders geliebt haben. Dich umarmte ich, wenn ich die theuerste Hälfte deines Ich umarmte; für die Reinheit meiner Liebkosungen gab mir gerade ihre Lebhaftigkeit die beste Bürgschaft. Behandelt ein Mädchen ihren Geliebten so? Behandeltest du selbst ihn so? Nein, Julie, die Liebe ist bei uns furchtsam und schüchtern, Zurückhaltung und Scham sind ihre Avancen; sie verräth sich durch das, was sie versagt, und sobald sie ihre Freundlichkeiten in Gunstbezeugungen verwandelt, kennt sie sehr gut den vollen Werth derselben. Die Freundschaft ist freigebig, die Liebe ist geizig.
Ich gestehe, daß zu enge Verbindungen in dem Alter, in welchem wir waren, immer gefährlich sind, aber Beide die Herzen voll von demselben Gegenstande, gewöhnten wir uns so daran, ihn zwischen uns zu stellen, daß wir, ohne dich zu vernichten, nicht zu einander gelangen konnten: die Vertraulichkeit selbst, deren süße Gewohnheit wir angenommen hatten, diese in jedem anderen Falle so gefährliche Vertraulichkeit, war damals mein Schutz. Unsere Empfindungen hängen von unsern Vorstellungen ab, und wenn sie einmal einen gewissen Lauf genommen haben, so ändern sie ihn nur schwer. Wir hatten zu viel in Einem Tone gesungen, um einen anderen anzustimmen. Wir waren schon zu weit gegangen, um umzukehren. Die Liebe will ihren ganzen Gang allein machen, sie liebt es nicht, daß ihr die Freundschaft den halben Weg erspart. Genug, ich habe es schon sonst gesagt, und habe Ursache es noch zu glauben, man nimmt nicht strafbare Küsse von demselben Munde, von dem man unschuldige genommen hat.
Dieses Alles findet noch eine Stütze an dem Manne, den der Himmel dazu bestimmt hatte, mir das kurze Glück meines Lebens zu schenken. Du weißt,
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