Julie oder Die neue Heloise
ich mir Streiche für den anderen Tag erdachte! Wie oft bin ich aus den Gefahren eines Alleinbeisammenseins durch einen tollen Einfall glücklich entronnen! Sieh, Liebe, wenn man schwach ist, kommt immer ein Augenblick, wo die Lustigkeit ernsthaft wird; dieser Augenblick wird für mich nicht kommen, das glaube ich zu fühlen, und dafür einstehen zu können.
Nach dem Allen bestätige ich dir ganz offen, was ich dir im Elysium über die Neigung, die ich entstehen fühlte, und über das Glück sagte, das ich diesen Winter genossen habe. Ich gab mich dem Reize, mit Dem zu leben, den ich liebe, nur um so williger hin, da ich fühlte, daß ich nichts weiter wünschte. Wenn diese Zeit ewig gedauert hätte, würde mich nie nach einer anderen verlangt haben. Meine Fröhlichkeit entsprang aus innerer Zufriedenheit, und war nicht erkünstelt. Ich gab dem Vergnügen, mich unaufhörlich mit ihm zu beschäftigen, eine schelmische Wendung; ich fühlte, daß ich mich nur aufs Lachen zu beschränken brauchte, um mir Thränen zu ersparen.
Meiner Treu', Cousine, ich habe manchmal zu bemerken geglaubt, daß auch ihm das Spiel nicht allzu sehr mißbehagte. Der Schalk war gar nicht böse, böse zu werden, und er wurde so schwer wieder gut, blos um sich länger gut machen zu lassen. Ich nahm davon Gelegenheit, ihm ganz zärtliche Sachen zu sagen, indem ich so that, als ob ich ihn zum Besten hätte; es war ein Wetteifer, wer es von uns beiden am kindischsten triebe. Eines Tages, als er in deiner Abwesenheit mit deinem Manne Schach, und ich mit Fanchon in demselben Saale Federball spielte, hatte ich mit ihr Abrede genommen, und gab genau auf unseren Philosophen Acht. An seiner demüthig stolzen Miene und an seinem schnellen Ziehen sah ich, daß sein Spiel gut stand. Der Tisch war klein, und das Schachbret reichte über seinen Rand hinaus. Ich paßte den Augenblick ab, und wie zufällig schlug ich mit dem Racket dagegen und schmiß das ganze Schachmatt über den Haufen. Einen solchen Zorn hast du dein Lebtage nicht gesehen; er war so wüthend, daß, da ich ihm die Wahl lassen wollte zwischen einer Ohrfeige und einem Kusse zu meiner Strafe, er sich abwendete als ich ihm die Backe hinhielt. Ich bat um Verzeihung, er war nicht zu erweichen. Er würde mich auf den Knieen haben liegen lassen, wenn ich vor ihm niedergekniet wäre. Zuletzt spielte ich ihm ein anderes Stückchen, worüber er das erste vergaß, und wir waren bessere Freunde als je.
Mit jeder anderen Methode würde ich mich unfehlbar nicht so gut herausgezogen haben, und einmal hatte ich Gelegenheit zu bemerken, daß das Spiel, wäre es ernsthaft geworden, nur zu ernsthaft geworden wäre. Es war an einem Abend, da er uns jenes einfach rührende Duett von Leo,
Vado a morir
, ben mio,
begleitete. Du sangst ziemlich nachlässig, ich nicht; und da ich eine Hand auf das Klavier gestützt hatte, gab er mir gerade bei der pathetischsten Stelle, und wo ich selbst bewegt war, einen Kuß auf diese Hand, den ich auf meinem Herzen fühlte. Ich kenne die Küsse der Liebe nicht recht; aber was ich dir sagen kann, ist, daß die Freundschaft, auch selbst unsere, nie einen ähnlichen gegeben oder empfangen hat. Nun, mein Kind, was wird aus Einem, wenn man nach solchen Augenblicken sich in sein einsames Stübchen zurückzieht und die Erinnerung daran mitnimmt? Ich, ich unterbrach die Musik; es mußte getanzt werden; ich ließ den Philosophen tanzen. Zu Abend gegessen wurde fast im Freien; wir blieben bis spät in die Nacht auf; ich legte mich sehr ermüdet nieder und schlief in einem Strich fort.
Ich habe demnach sehr gute Gründe, meinem Humor keinen Zwang anzuthun und mein Benehmen nicht zu ändern. Der Augenblick, der diese Veränderung nothwendig machen wird, ist so nahe, daß es nicht der Mühe werth ist, ihn vorauszunehmen. Die Zeit, steif und ehrsam einherzugehen, wird nur zu geschwind kommen, ich spute mich, von meinen Rechten Gebrauch zu machen, solange ich noch in den Zwanzigen zähle; denn nach der Dreißig ist man nicht mehr toll, sondern lächerlich. Und dein Lästermaul von Mann erdreistet sich, mir zu sagen, daß ich nur noch sechs Monate hin habe, um den Salat mit den Fingern umzukehren. Geduld! Um ihm diese Bosheit zu bezahlen, nehme ich mir vor, sie ihm in sechs Jahren zurückzugeben, und ich schwöre dir, er wird sie hinunterschlucken müssen. Aber zurück zur Sache.
Wenn man über seine Gefühle nicht Herr sein kann, so kann man es wenigstens über sein Betragen. Ohne Zweifel
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