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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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und gar zur Ruhe und Besonnenheit zurückgekehrt, Ihre Chimären von sich scheuchen und meine Cousine verdienen wollen, so kommen Sie, lieben Sie sie, dienen Sie ihr, thun Sie, was noch übrig ist, um ihr zu gefallen; in Wahrheit, ich glaube, daß Sie den Anfang dazu schon gemacht haben: besiegen Sie ihr Herz und die Hindernisse, die es Ihnen entgegenstellt, ich werde Ihnen aus aller meiner Macht beistehen! kurz machet einander glücklich, und nichts wird zu meinem Glücke fehlen. Aber, wofür Sie sich auch entscheiden mögen, nachdem Sie reiflich über die Sache nachgedacht, fassen Sie Ihren Entschluß in aller Zuversicht, und beschimpfen Sie Ihre Freundin nicht mehr durch die Beschuldigung, daß sie Mißtrauen in Sie setze.
    Vor allem Denken an Sie vergesse ich mich selbst. Indessen muß auch ich noch an die Reihe; denn Sie machen es mit Ihren Freunden im Disput wie mit Ihrem Gegner im Schachspiele, Sie greifen an, indem Sie sich vertheidigen: Sie entschuldigen Ihre Philosophie, indem Sie meine Frömmigkeit anschuldigen. Das ist, als wenn ich dem Weine entsagte, weil er Sie berauscht gemacht. Ich bin also eine Fromme, Ihrer Meinung nach, oder doch im Begriff es zu werden? Sei es! Aendern denn Spitznamen die Natur der Dinge? Wenn die Frömmigkeit etwas Gutes ist, wo ist dann das Unrecht, fromm zu sein? Aber vielleicht drückt diese Bezeichnung etwas aus, das zu gering für Sie ist? Die philosophische Würde verschmäht einen so gemeinen Cultus; sie will Gott auf edlere Art dienen: sie trägt ihre Prätensionen und ihren Hochmuth selbst in den Himmel hinein. Ach, ihr armen Philosophen .... Doch wieder zu mir zurück!
    Ich liebte die Tugend von Kindheit an, ich habe zu allen Zeiten meine Vernunft angebaut. Mit Gefühl und Einsicht meinte ich mich leiten zu können, und habe mich schlecht geleitet. Ehe Sie mir nun den Führer rauben, den ich erwählt habe, geben Sie mir einen anderen, auf den ich mich verlassen könne. Mein guter Freund, überall Stolz, wie man es auch anstelle! Der Stolz ist es, der Sie erhebt, der Stolz ist es, der mich demüthigt. Ich glaube so viel werth zu sein, als eine Andere, und tausend Andere haben ordentlicher gelebt, als ich: sie hatten also Hülfsmittel, die ich nicht hatte. Warum habe ich, die ich mich von Natur gut fühle, nöthig gehabt, mich mit meinem Wandel zu verstecken? Warum haßte ich das Böse und habe es doch wider Willen gethan? Ich kannte nur meine Kraft, sie hat sich mir nicht bewährt. Allen Widerstand, den man aus eigenen Mitteln leisten kann, glaube ich angewendet zu haben, und dennoch bin ich unterlegen. Wie machen es Die, welche widerstehen? Sie haben eine bessere Stütze.
    Nachdem ich gleich ihnen diese auch mir erwählt hatte, fand ich, daß ich dadurch noch einen anderen unerwarteten Vortheil gewonnen habe. Solange die Leidenschaften herrschen, helfen sie selbst dazu, daß man Qualen erträgt, welche sie verursachen; sie halten die Hoffnung auf Seiten der Wünsche. Solange man wünscht, braucht man nicht glücklich zu sein; man erwartet es zu werden; wenn das Glück nicht kommt, so verlängert sich die Hoffnung und der Reiz der Täuschung dauert so lange, als die Leidenschaft, aus der sie entspringt. So ist dieser Zustand sich selbst genug, und die Unruhe, die er verursacht, ist eine Art Genuß, der für die Wirklichkeit entschädigt und vielleicht mehr werth ist, als sie. Wehe Dem, der nichts mehr zu wünschen hat! Er verliert, so zu sagen, Alles, was er besitzt. Man hat weniger Genuß von dem, was man verlangt, als von dem, was man hofft, und man ist nur glücklich, ehe man glücklich ist. In der That, der Mensch, gierig und beschränkt wie er ist, geschaffen, Alles zu wollen und wenig zu erlangen, hat vom Himmel eine tröstende Kraft zur Mitgabe erhalten, die Alles, was er wünscht, in seinen Bereich bringt, es seiner Einbildungskraft unterwirft, es ihm gegenwärtig und erreichbar macht, es gewissermaßen in seine Gewalt liefert, und, um ihm dieses eingebildete Eigenthum noch süßer zu machen, es nach Gefallen seiner Leidenschaften modelt. Aber dieses ganze Gaukelspiel verschwindet vor dem Gegenstande selbst: diesen verschönert nichts mehr in den Augen des Besitzers; was man sieht, stellt man sich nicht vor; die Einbildungskraft schmückt das nicht weiter, was man besitzt; die Täuschung hört auf, wo der Genuß beginnt. Das Land der Träume ist das einzige in dieser Welt, das würdig ist, bewohnt zu werden, und so groß ist die Nichtigkeit der menschlichen

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