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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Dinge, daß außer dem Wesen, welches durch sich selbst ist, nichts schön ist, als was nicht ist.
    Wenn diese Wirkung nicht in Bezug auf alle Gegenstände unserer Leidenschaften eintritt, so ist sie doch unausbleiblich in dem Gemeingefühl, welches alle umfaßt. Ein Leben ohne Leiden ist kein Zustand für den Menschen; ein solches Leben wäre der Tod. Wer Alles könnte, ohne Gott zu sein, würde ein erbarmungswürdiges Geschöpf sein; das Vergnügen des Wünschens würde ihm geraubt sein; jeder andere Mangel aber wäre erträglicher als dieser
[Woraus folgt, daß jeder Fürst, der noch dem Despotismus strebt, nur nach der Ehre strebt, vor langer Weile zu sterben. Sei es in welchem Reiche der Welt es wolle, suchet ihr den Gelangweiltesten des Landes? Gehet nur geraden Weges zu dem Herrscher, besonders wenn er unbeschränkt ist. Das ist auch der Mühe werth, so viele Menschen elend zu machen! Könnte man die Langeweile nicht wohlfeiler kaufen?]
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    Dies erfahre ich theilweise seit meiner Verheiratung und seit Ihrer Zurückkunft. Ich sehe um mich überall nur Befriedigendes und bin nicht zufrieden; eine geheime Sehnsucht stiehlt sich in mein Herz; ich fühle es leer und geschwellt, wie Sie einstmals von dem Ihrigen sagten; die Anhänglichkeit, die ich für Alles habe, was mir theuer ist, reicht nicht hin, um ihm Beschäftigung zu geben; es ist in ihm noch eine unbenutzte Kraft, mit der es nichts anzufangen weiß. Dies ist ein seltsames Leiden, gestehe ich, aber es ist deshalb nicht weniger wirklich. Mein Freund, ich bin zu glücklich, das Glück langweilt mich
[Wie Julie? Ebenfalls Widersprüche? Ach, ich fürchte, reizende Fromme, daß auch du dich nicht in zu großer Uebereinstimmung mit dir selbst befindest. Uebrigens gestehe ich, daß dieser Brief mir etwas von Schwangesang an sich zu haben scheint.]
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    Wissen Sie ein Mittel gegen diesen Ueberdruß am Wohlergehen? Was mich betrifft, so gestehe ich, daß ein so wenig vernünftiges und so wenig freiwilliges Gefühl dem Leben viel von dem Werthe geraubt hat, den ich ihm beilege, und ich kann mir nicht denken, welche Art Reiz sich erfinden ließe, die mir fehlt, oder mir genügen würde. Kann eine Andere empfindsamer sein als ich? Kann sie ihren Vater, ihren Mann, ihre Kinder, ihre Freunde, ihre Nebenmenschen besser lieben als ich? Kann sie besser geliebt werden? Kann sie ein Leben mehr nach ihrem Geschmacke führen? Kann sie mehr in Freiheit sein, sich ein anderes zu erwählen? Kann sie sich einer bessern Gesundheit erfreuen? Kann sie mehr Hülfsmittel gegen die Langeweile haben, mehr Bande, welche sie an die Welt ketten? Und bei dem Allen lebe ich unruhig; mein Herz weiß nicht, was ihm fehlt; es wünscht, ohne zu wissen was.
    Da also meine Seele hienieden nichts findet, was ihr genügte, so sucht sie gierig anderwärts etwas, das sie ausfüllen könnte; indem sie sich zu dem Urquell des Gefühls und des Daseins erhebt, fühlt sie sich ihrer Oede und ihrer Sehnsucht entrissen, sie gebiert sich neu inihm, lebt neu in ihm auf, findet in ihm neue Schwungkraft, schöpft in ihm ein neues Dasein, das von den leiblichen Passionen unabhängig ist; oder vielmehr, sie ist nicht mehr in mir, sie ist ganz in dem unendlichen Wesen, welches sie anschaut, und einen Augenblick ihrer Ketten ledig, tröstet sie sich über die Gefangenschaft, in welche sie zurücksinkt, durch diesen Vorgeschmack eines höhern Zustandes, in den sie einst versetzt zu werden hofft,
    Sie lächeln, ich verstehe Sie, mein Freund. Ich habe mein eigenes Urtheil gesprochen, indem ich ehemals diesen Zustand des Gebetes tadelte, den ich jetzt zu lieben bekenne. Ich habe Ihnen hierauf nur ein Wort zu erwidern, nämlich, daß ich ihn damals noch nicht erfahren hatte. Ich will ihn auch nicht auf alle Weise rechtfertigen: ich sage nicht, daß es ein vernünftiger Geschmack sei, ich sage nur, daß er süß ist, daß er für das Gefühl des Glückes, welches sich erschöpft, einen Ersatz bietet, daß er die Leere der Seele ausfüllt, und daß er dem Leben, welches man damit hinbringt, ihn zu erwerben, einen neuen Reiz giebt. Wenn er Uebel nach sich zieht, so muß man ihn ohne Zweifel verwerfen; wenn er das Herz mit einem falschen Genusse äfft, so muß man ihn wiederum verwerfen. Aber wer hängt im Grunde der Tugend mehr an, der Philosoph mit seinen großartigen Prinzipien, oder der Christ in seiner Einfalt? Wer ist am glücklichsten schon in dieser Welt, der Weise in seiner Vernunft oder der Fromme in seinem Wahn? Was

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