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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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einzuhalten und das Uebermaß zu vermeiden wissen. Das war mir aber nicht möglich mit so ausgemachten Trinkern, wie die Walliser sind, bei so starken Weinen, wie sie das Land erzeugt, und an Tischen, wo sich nie ein Tropfen Wasser blicken läßt. Wie hätte man es über sich gewinnen sollen, auf so dumme Art den Weisen zu spielen und solche gute Leute böse zu machen? Ich betrank mich also aus Dankbarkeit, und da ich meine Zeche nicht mit meinem Beutel bezahlen durfte, bezahlte ich sie mit meiner Vernunft.
    Ein anderer Brauch, der mich nicht weniger peinigte, war, daß ich überall, selbst bei Magistratspersonen, die Frau und die Töchter vom Hause hinter meinem Stuhle stehend wie Lakaien den Tisch bedienen sah. Eine französische Galanterie würde sich um so mehr gequält haben, diese Unangemessenheit wett zu machen, als mit dem Gesichtchen der Walliserinnen selbst Mägde durch ihre Dienste in Verlegenheit setzen würden. Sie können es mir wohl glauben, daß sie hübsch sind, da sie sogar mir hübsch schienen. Augen, die gewohnt sind, Julie zu sehen, machen Ansprüche im Punkte der Schönheit.
    Ich für mein Theil, der ich immer die Bräuche des Landes, in welchem ich lebe, höher achte, als die der Galanterie, lasse mich stillschweigend von ihnen bedienen, so gravitätisch wie sich Don Quixote von der Herzogin bedienen ließ. Ich betrachtete oft mit Lächeln den Abstich zwischen den großen Bärten und den groben Gesichtern der Tischgenossen und der glänzenden und zarten Farbe dieser jungen schüchternen Schönen, die ein Wort schamroth und nur desto anmuthiger machte. Aber ich nahm einigen Anstoß an dem Ungeheuern Umfang ihrer Brust, die nur einen der Vorzüge in ihrer blendenden Weiße von dem Modell hat, an welchem ich sie zu messen wagte, dem einzigen, obwohl verhüllten Modell, dessen verstohlen abgelauschte Umrisse mir ein Bild von jener berühmten Schale geben, welcher der schönste Busen der Welt zum Muster gedient hatte
[Der Busen der Helena. Minerva temlum habet … in quo Helena sacravit calicem ex electro; adjicit historia, mammae suae mensura. („In dem Minerventempel ist eine Bernsteinschale, Weihgeschenk der Helena, und wie die Sage hinzufügt, nach dem Maße ihres Busens geformt“).Plin. Hist. Nat. lib. XXXIII, caq. 23.]
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    Staunen Sie nicht, mich so genau von Mysterien unterrichtet zu finden, welche Sie so gut verbergen: ich bin es ohne Ihren Willen; der eine Sinn giebt wohl bisweilen dem andern Aufschluß: bei aller eifersüchtigen Wachsamkeit entschlüpfen der Kleidung, schließe sie noch so gut, doch hin und wieder kleine Zwischenräume, bei denen das Gesicht den Dienst des Tastsinns übernimmt. Das lüsterne und kühne Auge stiehlt sich ungestraft unter die Blumen eines Straußes; es lauscht unter Chenille und Gaze und verschafft der Hand die Empfindungen des elastischen Widerstandes, den sie selbst nicht zu erproben wagt.
Parte appar delle mamme acerbe c crude:
    Parte altrui ne ricopre invida vesta,
    Invida, ma s' agli occhi il varco chiude
    L' amoroso pensier già non arresta.

    [Ein Theil blickt vor der herben jungen Brüste,
    Das andr' entzieht neidisch Gewand dem Blicke.
    Neidisch, doch hält's, wenn auch der Augen Lüste,
    Den lüsternen Gedanken nicht zurücke.
Tasso.]
    Ich bemerkte auch einen großen Fehler an der Kleidung der Walliserinnen, nämlich sie haben an ihren Röcken so hohe Rückentheile, daß sie wie bucklig aussehen; das macht in Verbindung mit ihrem kleinen schwarzen Kopfzeuge und dem übrigen Anzuge eine sonderbare Wirkung, die übrigens doch auch etwas Einfaches und Geschmackvolles hat. Ich bringe Ihnen einen vollständigen Walliser Anzug mit, und ich hoffe, er soll Ihnen gut stehen; er ist auf die hübscheste Taille des Landes gemacht.
    Während ich mit Entzücken diese so wenig bekannte und der Bewunderung doch so werthe Gegend durchwanderte, was ward aus Ihnen indeß, meine Julie? Waren Sie von Ihrem Freunde vergessen! Juli, vergessen! Würde ich nicht eher mich selbst vergessen? Und was wäre ich auch nur einen Augenblick allein, ich, der ich Alles nur noch durch Sie bin? Ich habe mehr denn je bemerkt, mit welchem Instinkt ich an verschiedene Orte unser gemeinsames Dasein je nach der Stimmung meiner Seele verlege. Wenn ich traurig bin, so flüchtet sie sich zu der Ihrigen und sucht an den Orten Trost, wo Sie sind; dies empfand ich, als ich Sie verließ. Wenn ich froh bin, so ist es mir unmöglich, allein zu genießen, und damit Sie meine Lust theilen, zaubere

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