Julie oder Die neue Heloise
wie ich sie in mich aufgenommen habe. Sie erinnern sich, daß ich nicht auf meiner Weigerung bestand und daß ich, ungeachtet des Widerstandes, zu dem mich ein Rest des gewöhnlichen Vorurtheils veranlaßte, Ihr Geschenk schweigend annahm, da mir in der That die wahre Ehre keinen genügenden Grund darbot, es auszuschlagen. Hier aber spricht Pflicht, Vernunft, die Liebe selbst so vernehmlich, daß ich es nicht überhören darf. Wenn nur die Wahl gelassen ist zwischen der Ehre und Ihnen, so ist mein Herz bereit, Sie zu verlieren. Es liebt Sie zu sehr, Julie, als daß es Sie um diesen Preis sich könnte erhalten wollen.
Fünfundzwanzigster Brief.
Von Julie.
Ihre Reisebeschreibung ist allerliebst, mein theurer Freund; ich würde Den, der sie geschrieben hat, liebgewinnen, wenn ich ihn auch gar nicht kennte. Ich habe Sie jedoch wegen einer Stelle Ihres Briefs auszuschelten, Sie wissen schon, welche ich meine, obgleich ich mich nicht habe enthalten können, über die Schlauheit zu lachen, mit welcher Sie sich hinter Tasso steckten, wie hinter eine Schutzmauer, Ei! fühlten Sie denn nicht, daß es ein großer Unterschied ist, ob man für das Publicum schreibt oder an seine Geliebte? Die Liebe, die so schüchtern, so ängstlich ist, legt sie nicht mehr Rücksichtsnahme auf als die äußerliche Wohlanständigkeit? Haben Sie nicht wissen können, daß dieser Styl gar nicht nach meinem Geschmack ist? Und gingen Sie darauf aus, mein Mißfallen zu erregen? Aber vielleicht nur schon zu viel über eine Sache, die ich gar nicht hätte aufstechen sollen. Ich bin übrigens zu voll von Ihrem zweiten Brief, um auf den ersteren im Einzelnen zu antworten. Also, mein Freund, sparen wir uns die Walliser auf ein anderes Mal und beschränken uns jetzt auf untere Angelegenheiten: wir werden genug damit zu thun haben.
Ich wußte, wie Sie sich entscheiden würden. Wir kennen einander zu gut, um noch bei den ersten Anfangsgründen zu stehen. Wenn uns je die Tugend im Stiche läßt, so wird es, glauben Sie mir, nicht bei einer solchen Gelegenheit geschehen, welche Muth und Aufopferung erfordert.
[Man wird bald sehen, daß diese Voraussagung so sehr als nur möglich in Erfüllung geht.]
Die erste Regung, wenn man hart angegriffen wird, ist die Lust, Widerstand zu leisten; und wir werden, hoffe ich, siegen, so oft uns der Feind Zeit läßt, zu den Waffen zu greifen. Die Ueberfälle mitten im Schlafe, im Schoße süßer Ruhe, diese sind es, die man fürchten muß: aber vor Allem ist es die ununterbrochene Fortdauer der Leiden, welche ihre Last unerträglich macht; und die Seele widersteht weit leichter heftigen Schmerzen als lang anhaltender Trübsal. Dies ist, mein Freund, die schwere Art Kampf, die wir fortan zu bestehen haben werden: nicht heldenmüthige Thaten legt uns das Schicksal auf, sondern einen noch heldenmütigeren Widerstand gegen unablässige Kümmernisse.
Ich hatte es nur zu gut vorhergesehen: die Zeit des Glückes ist vorübergegangen wie ein Blitz; die Zeit des Unglücks beginnt, und, nichts kommt zur Hülfe, um zu erkennen, wann sie enden wird. Alles beunruhigt und entmuthigt mich; eine tödtliche Abspannung bemächtigt sich meiner Seele; ohne daß ich recht eigentlich Ursache hätte, zu weinen, entfallen unwillkürlich Thränen meinen Augen: ich lese nicht unausweichliches Unglück in der Zukunft; aber ich pflegte die Hoffnung und ich sehe sie alle Tage mehr verwelken. Was nützt es, ach, das Bäumchen zu begießen, wenn es an der Wurzel abgeschnitten ist?
Ich fühle es, mein Freund; die Last der Trennung drückt mich danieder. Ich kann nicht ohne dich leben, ich fühle es; das ängstiget mich am meisten. Ich laufe hundertmal des Tages überall hin, wo wir mit einander verweilten, und nirgend finde ich dich. Ich erwarte dich zur gewohnten Stunde, die Stunde geht vorüber, und du kommst nicht. Alles, was ich sehe, erinnert mich an dich und mahnt mich, daß ich dich verloren habe. Du hast nicht diese schreckliche Marter. Dein Herz allein kann dir sagen, daß ich dir fehle. Ach, wenn du wüßtest, wie viel größer die Qual ist, am Orte zu bleiben, wenn man sich trennt, wie würdest du deine Lage der meinigen vorziehen!
Und wenn ich noch zu seufzen wagte, wenn ich von meinen Leiden sprechen dürfte, so würde die Klage mein Weh lindern; aber außer einigen Seufzern, die ich verstohlen in den Busen meiner Cousine aushauche, muß ich alle anderen ersticken; ich muß meine Thränen zurückhalten; ich muß lacheln, während ich
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