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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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ich Sie mir dahin, wo ich bin. So ist es mir auf dieser ganzen Wanderung ergangen; weil mich die Abwechslung der Gegenstände unaufhörlich an mich selbst erinnerte, so nahm ich sie überall mit hin. Ich that nicht einen Schritt, den wir nicht mit einander thaten; ich bewunderte keine einzige Aussicht, ohne sie geschwind Ihnen zu zeigen. Alle Bäume, denen ich begegnete, gaben Ihnen Schatten; jeder Rasen diente Ihnen zum Sitze. Bald an Ihrer Seite betrachtete ich mit Ihnen die Gegenstände umher; bald zu Ihren Füßen betrachtete ich einen der Blicke eines gefühlvollen Menschen würdigeren Gegenstand. Kam ich auf einen schwierigen Pfad, so sah ich Sie darüber hinhüpfen mit der Leichtigkeit eines Rehs, das neben seiner Mutter herläuft. Mußte ich durch einen Gießbach, so erkühnte ich mich, mit meinen Armen die so süße Last zu umschließen; ich ging langsam, langsam durch das Wasser, wonnevoll, und sah mit Trauer, daß wir schon am Ufer waren. Alles erinnerte mich an Sie in diesen stillen, friedlichen Gegenden, und die ergreifenden Schönheiten der Natur, die unwandelbare Reinheit der Luft, die einfachen Sitten der Bewohner, ihr gleichmäßiges, verständiges und festes Wesen, die liebenswürdige Schamhaftigkeit des weiblichen Geschlechts, seine unschuldvolle Anmuth und Alles, was angenehm meine Augen und mein Herz berührte. Alles malte ihnen nur Die ab, die sie beständig suchen.
    O meine Julie! rief ich gerührt aus, warum kann ich nicht meine Tage mit dir an dieser unbekannten Stätte hinbringen, beglückt durch unsere Glückseligkeit und nicht durch die Aufmerksamkeit der Menschen! Warum kann ich nicht hier meine ganze Seele auf dich allein sammeln und auch dir dein Alles sein! Angebetete Reize, dann, dann würdet ihr der Huldigungen genießen, deren ihr würdig seid! Liebeswonne, ohne Ende würden dich unsere Herzen schlürfen! In langer süßer Trunkenheit würden wir der Flucht der Jahre vergessen; und wenn endlich das Alter unsere erste Glut gemildert hätte, würde die Gewohnheit, mit einander zu denken und zu empfinden, an die Stelle ihres Dranges eine nicht minder zärtliche Freundschaft setzen. Alle edeln Gefühle, in der Jugend mit denen der Liebe zugleich genährt, würden einst die unendliche Leere ausfüllen; wir würden im Schoße dieses glücklichen Volkes und nach seinem Beispiel alle Pflichten der Menschlichkeit erfüllen; unablässig würden wir unsere Kräfte vereinigen. Gutes zu thun, und würden nicht sterben, ohne gelebt zu haben.
    Die Post kommt an; ich muß meinen Brief schließen und nach dem Ihrigen laufen. Wie schlägt mir das Herz, bis ich ihn habe! Ach! ich war so glücklich in meinen Träumen; das Glück flieht mit ihnen; was wird in der Wirklichkeit aus mir werden?
     

Vierundzwanzigster Brief.
An Julie.
    Ich beantworte unverzüglich die Stelle in dem Ihrigen, welche die Bezahlung betrifft, und habe, Gott sei Dank, nicht nöthig, erst eine Ueberlegung deswegen anzustellen. Hören Sie, meine Julie, wie ich über diesen Punkt denke.
    Ich unterscheide in dem, was man Ehre nennt, das, was aus der öffentlichen Meinung entspringt, und das, was in der Selbstachtung wurzelt. Das Erstere besteht in eiteln Vorurtheilen, die beweglicher sind, als eine rollende Welle; das Andere beruht auf den ewigen Grundlagen der Sittlichkeit. Die Ehre der Welt mag von Vortheil für die äußere Lage sein; aber sie dringt nicht in das Innere und hat keinen Einfluß auf das wahre Glück. Die wahre Ehre dagegen macht dessen Wesen aus, weil man nur in ihr das beständige Gefühl innerer Befriedigung findet, welches allein ein denkendes Wesen glücklich machen kann. Wenden wir diese Grundsätze, meine Julie, auf Ihre Frage an, und sie wird bald gelöst sein.
    Daß ich mich zum Lehrer der Philosophie aufwerfe und, wie der Narr in der Fabel, Geld dafür nehme, die Weisheit zu lehren, dies wird in den Augen der Welt ein niedriges Geschäft scheinen, und ich gestehe, daß auch etwas Lächerliches darin liegt; indessen da Niemand seinen Unterhalt unbedingt aus sich selbst nehmen kann, und da es keine natürlichere Art giebt, ihn aus sich selbst zu nehmen, als die eigene Arbeit, so müssen wir jene Verachtung unter die schädlichsten Vorurtheile rechnen; wir werden nicht so dumm sein, unser Glück einer so unsinnigen Meinung zu opfern; Sie werden mich deswegen nicht weniger schätzen und ich werde darum nicht mehr zu beklagen sein, weil ich von den Fertigkeiten lebe, die ich mir erworben habe.
    Hier aber, meine

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