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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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darüber aufgesetzt, den ich Ihnen mitzubringen gedenke. Unser Briefwechsel muß für das gespart werden, was uns beide näher angeht. Ich will mich damit begnügen, Ihnen von der Beschaffenheit meiner Seele Nachricht zu geben; es ist billig, daß Sie erfahren, wie mit Ihrem Gute umgegangen wird.
    Ich war abgereist, betrübt über mein Leiden und getröstet durch Ihre Freude; dies erhielt mich in einer gewissen sehnlichen Stimmung, die nicht ohne Reiz für ein empfindsames Herz ist. Ich stieg langsam und zu Fuße auf ziemlich rauhen Fußpfaden aufwärts, von einem Manne geführt, den ich zu diesem Behuf angenommen hatte und an dem ich auf dem ganzen Wege mehr einen Freund als einen Lohnbedienten gehabt habe. Ich wollte meinen Träumen nachhängen, und immer zog mich irgend ein neues überraschendes Schauspiel davon ab. Bald hingen ungeheure Felsen in Trümmern über meinem Haupts nieder; bald benetzten mich hoch herabstürzende Wasserfälle mit ihrem dichten Staub; bald eröffnete sich neben mir ein endloser Strom, eine Kluft, deren Tiefe das Auge nicht ermessen konnte. Manchmal verlor ich mich in das Dunkel einer dicken Waldung; manchmal ward ich beim Austritt aus einer Schlucht durch den Anblick einer lachenden Wiese gelabt. Ein staunenswürdiges Gemisch von wilder und angebauter Natur verrieth überall die Hand des Menschen, wo man hätte glauben sollen, daß sie niemals hingedrungen wäre; dicht neben einer Höhle fand man Wohngebäude; man erblickte entblätterte Rebstöcke, wo man nichts als Dornen gesucht hätte, Weingärten auf zusammengestürztem Boden, herrliche Fruchtbäume auf Felsmassen und Aecker in Abgründen.
    Nicht nur das Werk der Menschenhand schuf in dieses wundersame Land so abenteuerliche Gegensätze; auch die Natur schien sich darin zu gefallen, sich mit sich selbst in Widerspruch zu setzen, so mannigfaltig stellte sie sich an dem nämlichen Orte auf den verschiedenen Seiten dem Blicke dar. Im Osten die Blumen des Frühlings, im Mittag die Früchte des Herbstes, im Norden das Eis des Winters; sie vereinigte alle Jahreszeiten in dem nämlichen Augenblick, alle Himmelsstriche an der nämlichen Stelle, entgegengesetzte Erdarten auf dem nämlichen Boden und zeigte in einer Verbindung, die man sonst nirgends antrifft, die Erzeugnisse der Ebnen und Alpengewächse. Rechnen Sie zu dem allen die Täuschungen des Auges, die verschiedenartige Beleuchtung der Bergspitzen, das Wechselspiel von Sonnenschein und Schatten und alle die Lichtwirkungen, welche sich daraus am Morgen und am Abend entwickeln, so werden Sie sich einigermaßen eine Vorstellung machen können von den ewig neuen Bildern, die unablässig meine Bewunderung auf sich zogen und die sich mir auf einem ordentlichen Theater darzustellen schienen, denn die Perspective der Berge, inihrem scheitelrechten Ansteigen, bringt Alles zugleich ins Auge, und weit gewaltiger als die der Ebenen, welche sich nur schräg und fliehend zeigt und wo immer ein Gegenstand den anderen verbirgt.
    Es gesellte sich während des ersten Tages zu der Annehmlichkeit dieser Abwechslungen die Ruhe, welche ich in meiner Seele wieder entstehen fühlte. Ich staunte über die Macht, welche auf unsere heftigsten Leidenschaften die unempfindlichsten Wesenheiten üben, und verächtlich kam mir die Philosophie vor, daß sie nicht einmal soviel über die Seele vermag als eine Reihefolge lebloser Gegenstände. Da aber dieser friedvolle Zustand die Nacht überdauert hatte und am andern Tage noch zunahm, so konnte ich nicht umhin, zu schließen, daß er noch eine andere mir unbekannte Ursache haben müßte. Ich gelangte an diesem Tage zu Bergen von der geringsten Erhebung, und dann, nachdem ich ihre Wellungen zurückgelassen hatte, zu solchen, welche die größte Höhe hatten, die mir erreichbar war. Nachdem ich durch die Wolken geschritten war, erreichte ich eine klarere Region, von welcher aus man zur Zeit Donner und Ungewitter unter seinen Füßen sich bilden sieht; ein leider eitles Bild der Seele des Weisen, welches nie verwirklicht worden oder nur an den Stätten allein zu verwirklichen ist, von denen man es entlehnt hat.
    Da entdeckte ich allmählig in der Reinheit der Luft, worin ich mich befand, die wahre Ursache des Wechsels, der in meiner Stimmung vorgegangen war, und der Rückkehr jenes Innern Friedens, den ich seit so langer Zeit verloren hatte. In der That ist dies ein allgemeiner Eindruck, welchen alle Menschen empfinden, obwohl sie nicht alle darauf achten, daß man auf

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