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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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zweiten tödten, um zu beweisen, daß es nicht wahr ist. Also: Tugend, Laster, Ehre, Schande, Wahrheit, Lüge, alles das kann sein Wesen aus dem Ausgange eines Zweikampfes nehmen; ein Fechtboden ist der höchste Gerichtshof; es giebt kein anderes Recht, als die Gewalt, keine andere Rechtfertigung, als den Mord; die ganze Genugthuung, die man Denen schuldet, welche man beschimpft hat, ist, daß man sie tödtet, und jede Beleidigung kann abgewaschen werden, gleichviel, ob in dem Blute des Beleidigers oder des Beleidigten. Sagen Sie, wenn die Wölfe raisonniren könnten, würden sie andere Grundsätze haben? Urtheilen Sie selbst, an dem Falle, worin Sie sich befinden, ob ich die Abgeschmacktheit derselben übertreibe. Um was handelt es sich hier für Sie? Um eine Lüge, die Ihnen bei einer Gelegenheit vorgeworfen wurde, wo Sie logen. Meinen Sie nun die Wahrheit zugleich mit Dem zu tödten, den Sie dafür strafen wollen, daß er sie gesagt hat? Bedenken Sie wohl, daß Sie, dem Schicksalsspruche eines Zweikampfs sich unterwerfend, den Himmel zum Zeugen für eine Falschheit anrufen, und daß Sie zu dem Richter der Kämpfe zu sprechen wagen: komm, und hilf der ungerechten Sache und laß die Lüge triumphiren? Liegt in dieser Blasphemie nichts, wovor Sie schaudern? in solcher Widersinnigkeit nichts, was Sie empört? O mein Gort, was für eine jämmerliche Ehre ist das, die nicht das Laster scheut, sondern den Vorwurf, und die von einem Andern nicht den Vorwurf der Lüge ertragen will, den das eigene Herz doch schon zuvor erhoben hat!
    Sir, der Sie fordern, daß man Nutzen ziehe von dem, was man liest, sollten das auch selber thun, und sehen Sie doch nach, ob es je auf Erden eine Herausforderung gab, als sie noch mit Helden bedeckt war. Haben die tapfersten Männer des Alterthums je daran gedacht, ihre persönlichen Beleidigungen durch Sonderkämpfe zu rächen? Schickte Cäsar dem Cato ein Cartell oder Pompejus dem Cäsar für so viel gegenseitigen Schimpf, als sie sich anthaten? Und war der größte Feldherr Griechenlands entehrt, weil er sich hatte mit dem Stocke drohen lasten? Andere Zeiten, andere Sitten, o, ich weiß; aber sind sie deshalb alle gut? und sollte man es nicht wagen, nachzuforschen, ob denn auch die Sitten einer Zeit von der Art sind, wie die wahre Ehre sie fordert? Nein, diese Ehre ist nicht wandelbar; sie ist unabhängig von den Zeiten, Orten, Vorurtheilen; sie kann nicht vergehen, noch wieder entstehen; sie hat ihre ewige Quelle in dem Herzen des rechten Menschen und in der unveränderlichen Richtschnur seiner Pflichten. Wenn die aufgeklärtesten, tapfersten, tugendhaftesten Völker der Erde das Duell nicht gekannt haben, so sage ich, es ist keine Einrichtung, die aus dem Wesen der Ehre entspringt, sondern eine abscheuliche, barbarische Mode, ihres wilden Ursprungs würdig. Es käme nun darauf an, ob in dem Falle, wann es sich um das eigene oder um fremdes Leben handelt, der rechtschaffene Mann sich nach der Mode richtet, und ob er nicht mehr wahren Muth zeigt, wenn er sie verachtet, als wenn er ihr folgt. Was würde Ihrer Meinung nach Der thun, welcher sich ihr auch da unterwerfen wollte, wo ein entgegengesetzter Brauch herrscht? In Messina oder in Neapel würde er seinem Manne an einer Straßenecke auflauern und ihn von hinten niederstoßen lassen. Das nennt man dort zu Lande brav sein; und die Ehre besteht nicht darin, daß man sich von seinem Feinde tödten läßt, sondern daß man ihn selber tödtet.
    Hüten Sie sich also, den geheiligten Namen Ehre mit jenem rohen Vorurtheile zu vermengen, welches alle Tugenden auf die Spitze des Degens setzt, und zu nichts gut ist, als brave Bösewichter zu schaffen. Könnte selbst diese Verfahrungsart ein Ersatzmittel für die Redlichkeit geben, gut, aber ist nicht, wo die Redlichkeit selbst herrscht, das Ersatzmittel überflüssig? Und was soll man von Dem denken, der sich dem Tode aussetzt, um sich die Mühe zu ersparen, ein rechtschaffener Mann zu sein? Bemerken Sie denn nicht, daß die Verbrechen, welche Scham und Ehrgefühl nicht verhindert haben, nur bedeckt und verdoppelt sind durch die falsche Scham und Furcht vor dem Tadel? Sie ist es, die den Menschen zum Heuchler und zum Lügner macht; sie, die ihn dazu bringt, das Blut eines Freundes zu vergießen um ein unbedachtes Wort, das er vergessen sollte, um einen verdienten Vorwurf, den er nicht ertragen mag; sie, die ein verführtes und furchtsames Mädchen in eine höllische Furie verwandelt; sie,

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