Julie oder Die neue Heloise
flieht, welche er bestehen sollte.
Ich habe Ihnen, wenn ich mich nicht täusche, dargethan, daß bei Ihrem Handel mit Milord Eduard Ihre Ehre nicht ins Spiel kommt; daß Sie die meinige preisgeben, wenn Sie den Weg der Entscheidung durch die Waffen einschlagen; daß dieser Weg weder gerecht, noch vernünftig, noch erlaubt ist; daß er sich mit der Denkungsart, zu welcher Sie sich bekennen, nicht verträgt; daß er nur unehrenhaften Leuten ziemt, welche die Bravour zu einem Ersatzmittel machen für die Tugenden, die sie nicht besitzen, oder Officieren, die sich nicht um der Ehre willen, sondern in eigennütziger Absicht schlagen; daß es mehr wahren Muth erfordert, diese Bravour zu verachten, als anzunehmen; daß die Unannehmlichkeiten, denen man sich durch Verachtung derselben aussetzt, von einem in Wahrheit pflichtmäßigen Handeln unzertrennlich, übrigens aber mehr scheinbar als wirklich sind: daß endlich Diejenigen, welche am schnellsten damit bei der Hand sind, zu ihr zu flüchten, immer Solche sein werden, deren Rechtschaffenheit verdächtig ist. Woraus ich den Schluß ziehe, daß Sie bei dieser Gelegenheit eine Aufforderung weder machen noch annehmen können, ohne damit auf Vernunft, Tugend, Ehre und auf mich zu verzichten. Drehen und wenden Sie meine Betrachtungen, wie Sie wollen, häufen Sie Ihrerseits Sophismen auf Sophismen; stets wird sich finden, daß ein Mann von Muth niemals ein Feigling und ein Mann von Gesinnung niemals ein ehrloser Mensch sein kann. Nun habe ich Ihnen aber gezeigt, wie mich dünkt, daß der Mann von Muth das Duell verachtet und daß es der Mann von Gesinnung verabscheut.
Ich habe geglaubt, mein Freund, in einer so ernsten Angelegenheil die Vernunft allein sprechen lassen und Ihnen die Sachen so vorhalten zu müssen, wie sie sind. Wenn ich sie hätte schildern wollen, wie ich sie sehe, und Gefühl und Menschlichkeit sprechen lassen, so würdeich eine ganz andere Sprache angenommen haben, Sie wissen, daß mein Vater in seiner Jugend das Unglück hatte, einen Mann im Duell zu tödten: dieser Mann war sein Freund; sie schlugen sich nur ungern; der unsinnige Point d' Honneur zwang sie dazu. Der tödtliche Stoß, der den Einen traf, hat dem Andern die Ruhe für sein ganzes Leben geraubt. Der schmerzliche innere Vorwurf ist seitdem nicht aus seinem Herzen gewichen; oft wenn er allein ist, hört man ihn seufzen und weinen: er glaubt noch den Stahl von seiner grausamen Hand geführt in das Herz des Freundes dringen zu fühlen; er sieht im Schatten der Nacht seinen bleichen, blutigen Leib; er starrt schaudernd die klaffende Wunde an; er möchte das strömende Blut stillen; Angst ergreift ihn, er schreit; dieser schreckliche Leichnam verfolgt ihn unablässig. Seit er vor fünf Jahren den geliebten Erhalter seines Namens und die Hoffnung seiner Familie verloren hat, wirft er sich dessen Tod als eine gerechte Strafe des Himmels vor, der an seinem einzigen Sohne den unglücklichen Vater rächte, den er des seinigen beraubt hatte.
Ich gestehe Ihnen, dieses alles, das zu meinem natürlichen Abscheu vor jeder Art Grausamkeit hinzukommt, macht mir das Duell so grauenvoll, daß ich es als die letzte Stufe der Brutalität betrachte, zu welcher sich Menschen erniedrigen können. Wer mit frohem Herzen zum Zweikampfe gehen kann, ist in meinen Augen nichts weiter als ein wildes Thier, das anspringt, um ein anderes zu zerreißen; und wenn noch das geringste natürliche Gefühl in ihren Seelen ist, so finde ich Den, welcher fällt, weit weniger zu beklagen, als den Sieger. Sehen Sie doch die an Blutvergießen gewöhnten Menschen, sie können den Gewissensbissen nur Trotz bieten, indem sie die Stimme der Natur ersticken; sie werden nach und nach hartherzig, fühllos; sie spielen mit dem Leben Anderer, und die Strafe dafür, daß sie einmal die Menschlichkeit verleugneten, ist, daß sie sie endlich verlieren. Was sind sie in diesem Zustande? Antworte, willst du ihnen ähnlich werden? Nein, du bist nicht dazu gemacht, so scheußlich zu verthieren; hüte dich vor dem ersten Schritte, der dahin führen kann; deine Seele ist noch schuldlos und heil, fange nicht an, sie zu vergiften, mit Gefahr deines Lebens, durch ein Opfer ohne Tugend, eine Sünde ohne Lust, einen Ohrenpunkt ohne Vernunft.
Ich habe dir nichts über deine Julie gesagt; sie wird ohne Zweifel dabei gewinnen, wenn sie dein eignes Herz sprechen läßt. Ein Wort, ein einziges Wort, und ich überlasse dich ihm ganz. Du hast mich manchmal mit dem
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