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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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elender Furcht gezeigt hat, wird sich weigern, seine Hand mit einem Morde zu beflecken, und nur noch mehr deswegen geehrt werden. Stets bereit, dem Vaterlande zu dienen, den Schwachen zu beschützen, die gefahrvollsten Pflichten zu erfüllen, und bei jedem gerechten und schicklichen Begegniß, was ihm theuer ist, mit seinem Blute zu vertheidigen, legt er in jeden seiner Schritte jene unerschütterliche Festigkeit, welche man ohne wahren Muth nicht haben kann. In der Sicherheit seines Bewußtseins geht er aufgerichteten Hauptes, flieht nicht und sucht nicht seinen Feind; man sieht leicht, daß er weniger den Tod als das Unrechtthun scheut, und daß er das Verbrechen, nicht die Gefahr fürchtet. Wenn sich die gemeinen Vorurtheile einen Augenblick gegen ihn erheben, so stehen alle Tage seines ehrenhaften Lebens als Zeugen wider sie auf, und bei einer so fest in sich zusammenhängenden Aufführung beurtheilt man die einzelne Handlung nach allen übrigen.
    Aber wissen Sie, was dem gewöhnlichen Menschen solche Mäßigung so bedenklich macht? Die schwierige Aufgabe, dieselbe würdig zu behaupten, die Nothwendigkeit, hinterher keine tadelnswerthe Handlung zu begehen: denn wenn ihn die Furcht vor dem Unrechtthun in dem letzteren Falle nicht zurückhält, warum sollte sie es gewesen sein, die ihn in dem früheren hielt, bei welchem man doch einen natürlicheren Beweggrund voraussetzen kann? Man sieht denn also wohl, daß die Weigerung sich zu schlagen nicht aus Tugend, sondern aus Feigheit geschah, und man verspottet mit Recht eine Gewissenhaftigkeit, welche sich erst unter der Gefahr einstellt. Haben Sie nicht bemerkt, daß Diejenigen, welche so reizbar und stets bereit sind, Andere zu reizen, gewöhnlich sehr unehrenhafte Leute sind, die, damit nur Niemand ihnen die Verachtung, die man gegen sie hegt, offen zu zeigen wage, mit einigen Ehrenhändeln die Schandbarkeit ihres ganzen Lebens zu bedecken suchen? Ziemt es Ihnen, solchen Leuten nachzuahmen? Sondern wir auch noch die Militaires von Profession aus, die ihr Blut für Geld verkaufen, die, um ihren Platz zu behaupten, das, was sie ihrer Ehre schuldig sind, nach ihrem Vortheil berechnen, und auf den Thaler wissen, was ihr Leben werth ist! Alle diese Leute lassen Sie sich schlagen, lieber Freund! Nichts ist weniger ehrenhaft, als die Ehre, von der sie so viel Lärm machen; sie ist nichts als eine sinnlose Mode, eine unächte nachgemachte Tugend, welche sich die ärgsten Verbrechen zum Ruhme anrechnet. Die Ehre eines Mannes wie Sie ist nicht in der Gewalt eines Andern; sie ist in ihm selbst, und nicht in der Meinung der Leute; er vertheidigt sich nicht mit Schwert und Schild sondern mit rechtschaffenem und untadelhaftem Wandel, und diese Kampfart wiegt im Punkte des Muthes wohl die andere auf.
    Nach diesen Voraussetzungen werden Sie das Lob, welches ich jederzeit der wahren Tapferkeit gezollt habe, mit der Geringschätzung vereinbar finden, welche ich Scheintapferen stets bewiesen habe. Ich liebe Männer von Herz und mag Feige nicht leiden; ich würde mit einem furchtsamen Liebhaber brechen, der aus Verzagtheit die Gefahr flöhe, und ich denke, wie alle Frauen, daß das Feuer des Muthes das Feuer der Liebe belebt. Aber ich will, daß sich die Tapferkeit am rechten Orte zeige, und daß man sich nicht eine Angelegenheit daraus mache, bei eitlen Anlässen Staat mit ihr zu treiben, als ob man fürchtete, sie zur rechten Zeit nicht bei der Hand zu haben. Mancher überwindet sich einmal und tritt auf, um sich dadurch das Recht zu erwerben, sein übriges Lebenlang hinter dem Berge zu halten. Der wahre Muth besitzt mehr Dauerhaftigkeit und weniger Vorschnelligkeit; er ist stets, was er sein soll; man braucht ihn nicht zu spornen und nicht im Zaume zu halten; der wackere Mann trägt ihn überall mit sich, im Kampfe gegen den Feind, in Gesellschaften zur Vertheidigung der Abwesenden und der Wahrheit, in seinem Bette gegen die Angriffe des Schmerzes und des Todes. Die Seelenstärke, welche ihn erzeugt, ist zu allen Zeiten Brauch; sie stellt immer die Tugend über jede Zufälligkeit, und besteht nicht darin, daß man sich schlägt, sondern darin, daß man sich vor nichts fürchtet. Dies ist die Art Muth, mein Freund, die ich oft gepriesen habe und die ich mit Freuden an Ihnen sehe. Jede andere ist nichts als Unbedachtsamkeit, Unsinn und Roheit; ihr sich zu unterwerfen, ist eine Feigheit, und ich verachte nicht weniger Den, der ohne Noth Gefahren aufsucht, als Den, der eine Gefahr

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