Julie oder Die neue Heloise
zärtlichen Namen Gattin beehrt: vielleicht in diesem Augenblicke soll der Name Mutter hinzukommen. Willst du mich zur Witwe machen, ehe ein heiliges Band uns vereinigt hat?
N. S. Ich mache in diesem Briefe von einer Autorität Gebrauch, der noch kein verständiger Mann widerstanden hat. Wollen Sie sich ihr nicht fügen, so habe ich Ihnen weiter nichts zu sagen; aber überlegen Sie es erst reiflich. Nehmen Sie sich acht Tage Bedenkzeit, um in dieser wichtigen Sache nicht übereilt zu handeln. Diesen Aufschub fordere ich von Ihnen nicht im Namen der Vernunft, sondern in meinem eigenen Namen. Erinnern Sie sich, daß ich hierbei mich des Rechtes bediene, das Sie mir selbst ertheilt haben und das wenigstens so weit reicht.
Achtundfünfzigster Brief.
Julie an Milord Eduard.
Nicht um mich über Sie zu beschweren, schreibe ich an Sie, Milord! Da Sie mir Schimpf zufügen, so muß ich Ihnen wohl irgend etwas unwissentlich zu Leide gethan haben. Wie wäre es denkbar, daß ein edler Mann ohne Ursache darauf ausginge, eine achtbare Familie zu entehren? Befriedigen Sie also Ihre Rache, wenn Sie sie für gegründet halten: dieser Brief bietet Ihnen ein leichtes Mittel dar, ein unglückliches Mädchen zu Grunde zu richten, das es sich nie vergeben wird, Sie beleidigt zu haben, und diese Ehre, welche Sie ihm rauben wollen, in Ihre Hände legt. Ja, Milord, Ihre Voraussetzung war richtig: ich habe einen Liebhaber, der wieder geliebt ist; er ist Gebieter über mein Herz und meine Person: der Tod allein wird dieses süße Band zerreißen können. Dieser Liebhaber, ist derselbe Mann, den Sie mit Ihrer Freundschaft beehrten; er ist derselben würdig, da er Sie liebt und tugendhaft ist. Indessen er wird von Ihrer Hand fallen; ich weiß, daß die gekränkte Ehre Blut fordert; ich weiß, daß sein Muth selber ihn verderben wird; ich weiß, daß in einem Kampfe, der für Sie so wenig Furchtbares hat, sein unerschrockenes Herz furchtlos den tödtlichen Stoß suchen wird. Ich habe diesen unüberlegten Eifer zurückhalten wollen; ich habe die Vernunft sprechen lassen. Ach, indem ich meinen Brief schrieb, fühlte ich, daß ich ihn vergeblich schriebe, und welche Achtung ich vor seinen Tugenden habe, so erhaben wage ich sie mir nicht zu denken, daß sie ihn von einem falschen Point d'Honneur losmachen sollten. Genießen Sie im Voraus des Vergnügens, welches Sie empfinden werden, die Brust Ihres Freundes zu durchbohren: aber wissen Sie, grausamer Mann, daß Sie wenigstens das nicht haben werden, sich an meinen Thränen zu weiten und meine Verzweiflung zu sehen. Nein, ich schwöre es, bei der Liebe, die in der Tiefe meines Herzens seufzt, sein Sie Zeuge eines Schwures, der nicht vergeblich gethan sein wird: ich werde Den, für den ich athme, um keinen Tag überleben, und Sie werden den Ruhm haben, mit Einem Stoße zwei unglückliche Liebende ins Grab zu strecken, die Ihnen mit Wissen nichts zu Leide thaten und denen es eine Freude war, Sie zu ehren.
Man sagt Ihnen nach, Milord, daß Sie eine schöne Seele und ein gefühlvolles Herz besäßen: wenn diese Sie in Frieden eine Rache schmecken lassen, von der ich keinen Begriff habe, und die süße Lust, Menschen unglücklich zu machen, möchten sie Sie, wenn ich nicht mehr sein werde, bewegen, einige Theilnahme den untröstlichen Eltern zu widmen, die der Verlust des einzigen Kindes, das ihnen noch übrig ist, in ewigen Gram versenken wird.
Neunundfünfzigster Brief.
Herr von Orbe an Julie.
Ich beeile mich, Mademoiselle, Ihrem Befehle gemäß, Ihnen Bericht zu erstatten über den Erfolg des Geschäftes, das Sie mir übertragen hatten. Ich komme von Milord Eduard, den ich noch an seiner Verrenkung leidend und unfähig gefunden habe, anders als mit Hülfe eines Stockes in seinem Zimmer auf und nieder zu gehen. Ich stellte ihm Ihren Brief zu, den er hastig öffnete: er schien mir bewegt, indem er ihn las: er sann einige Zeit nach; dann las er ihn zum zweiten Male in noch sichtbarerer Aufregung. Als er zu Ende war, sagte er mir folgende Worte: „Sie wissen, mein Herr, daß Ehrensachen ihre Regeln haben, von denen man nicht abgehen kann: Sie haben gesehen, was bei der gegenwärtigen sich zugetragen hat; sie muß in aller Form erledigt werden. Nehmen Sie zwei Freunde und bemühen Sie sich mit denselben morgen früh wieder zu mir her; Sie werden alsdann meinen Entschluß erfahren." Ich stellte ihm vor, daß es besser sein würde, da die Sache nur unter uns vorgegangen war, daß sie ebenso
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