Julie u Julia - 365 Tage, 524 Rezepte Und 1 Winzige Küche
Schaumgummiabdeckschiene in den Mund gerammt und sabberte Unmengen Zahnbleichgel. (Also bisher kein besonders erfreulicher Morgen.) Im ersten Moment glaubte ich, ein wenig zu heftig zu reagieren, wenn ich der armen Journalistin riesige Rindfleischbrocken aufs Haupt wünschte. Aber zum Glück las auch Isabel Vanity Fair , und noch am selben Vormittag bekam ich diese E-Mail:
Hast du dieses beschissene Artikelchen über Nigella in Vanity Fair gelesen? Stinkt das nicht zum Himmel? Erstens wird Nigella mehrmals seelenruhig als dick bezeichnet, zweitens stehen da wirklich hundsgemeine Beleidigungen, wie in einem reißerischen Klappentext, der Dinge behauptet, die im Buch gar nicht vorkommen, und drittens klingt da doch ein ganz klein wenig Antisemitismus durch, oder? JAWOLL, es stinkt! Und diese Julia-Child-Ohrfeige lassen wir ihr auch nicht durchgehen. Ich fasse es nicht, diese Schweinerei! Ich werde einen Leserbrief schreiben. Mrs. Sehnenhals wäre doch froh, wenn sie nur halb so viel Sex und Lebenslust hätte wie Nigella.
Amen , dachte ich. Und ich dachte, dass Nigella und Julia, Isabel und ich wussten, worum es sich bei Sex wirklich handelte. Sex bedeutete, mit Essen zu spielen und ab und zu eine Sauce zu vermasseln. Sex bedeutete Pekannusskuchen mit Pekanglasur. Sex hieß: Schlag dir die Sorgen aus dem Kopf und erkenne, wie gut Leber schmeckt.
Eine meiner Lieblingsgeschichten über Julia Child stammt aus einem Brief ihres Mannes Paul an seinen Bruder Charlie. Er beschreibt, wie sie in Paris in der Küche sitzen und Julia gerade Cannelloni kocht. Sie fasst ins kochende Wasser - er erwähnt diese erstaunliche Heldentat im Nebensatz, als sei es die natürlichste Sache der Welt, dass seine Frau sich selber kocht - und sagt, als sie die Pasta mit einem kurzen Schrei rauszieht: »Wow, diese verdammten Dinger sind heiß wie ein steifer Schwanz.«
Ich bin keine Julia Child, und meine Finger sind nicht aus Asbest. Das merkte ich, als ich an meinem 30. Geburtstag ohne große Hoffnungen versuchte, mir den Titel der Crêpe- Queen zu holen.
Wenn Julia in ihren Fernsehshows Crêpes bäckt, schleudert sie sie einfach mit einem scharfen Ruck der Pfanne in die Luft, ähnlich dem Verfahren, mit dem sie ein Omelett wendet. Ich hatte dies immer für die fixe Idee einer Wahnsinnigen gehalten. Aber nach einer halben Stunde Kreischen, Fluchen, Abkratzen und Wegwerfen stand ich vor dem Herd, knabberte an meinen Fingerspitzen und dachte: Na ja, warum nicht? Was kann schon passieren?
»Eric! O Gott, Eric! Komm schnell!«
Eric war dazu übergegangen, sich während der Crêpe-Sessions zu verstecken, und kam nur zögernd um die Ecke in die Küche, fest überzeugt, in einen Tobsuchtsanfall verwickelt zu werden. »Ja, Honey?«
»Schau mal!«
Und so stand Eric neben mir, als ich mit einer entschiedenen Handbewegung meine makellose, goldene Crêpe in die Luft warf und mit der Pfanne auffing .
»Heilige Scheiße, Julie!«
»Ich weiß!« Ich ließ die Crêpe auf einen Teller gleiten und goss wieder einen Schöpflöffel Teig in die Pfanne.
»Das ist ja unglaublich!«
Ich ruckte mit dem Pfannenstiel, und wieder schnellte die perfekte Crêpe in die Höhe. » Göttlich , oder?«
»Das kann man wohl sagen!«
»Das Beste hast du noch gar nicht gesehen.« Ich ließ die letzte Crêpe aus der Pfanne gleiten und goss Cognac und Grand Marnier hinein. Ich erhitzte den Alkohol ein bisschen, goss ihn über meine schönen Crêpes, setzte ihn mit meinem NASCAR-bic-Feuerzeug in Brand, schrie auf und schüttelte meine Hand, um ein paar brennende Haare zu löschen.
Mein Mann gurrte, als er sich über die köstlichen flambierten Crêpes auf seinem Teller hermachte. Gibt es einen Laut auf Erden, der so sexy ist, wie wenn der Mensch, den du liebst, angesichts der Crêpes, die du für ihn gemacht hast, gurrt? Nicht dass ich wüsste. Sollen sich doch Botox und alle sehnigen Hälse zum Teufel scheren.
November 1948
Le Havre, Frankreich
Sie blies eine träge Wolke Zigarettenrauch in die Luft, und sie verschmolz mit dem Nebel über dem Wasser. »Damals schien mir das eine gute Idee zu sein.«
»Es war eine gute Idee. Ist es immer noch.« Er ging ärgerlich am Kai entlang und starrte zum Bauch des Schiffes empor, als könne er sein Auto mit bloßer Willenskraft von dort herunterheben. »Aber das dauert jetzt schon fast zwei Stunden. Man sollte meinen, nach diesem höllischen Papierkrieg -«
»Paul, das war doch nicht ernst gemeint. Natürlich
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