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Juliet, Naked

Juliet, Naked

Titel: Juliet, Naked Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Hornby
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arbeitete sich von Cat und Jackson
     zurück zu all den anderen vermurksten Ehen und Kindern; das berufliche Brachland der letzten zwanzig Jahre erstreckte sich
     vor seinen Augen, wie eine von Rost überzogene alte Bahnlinie neben einem Verkehrsstau. Die Menschen unterschätzen die Geschwindigkeit
     der Gedanken. Es ist möglich, praktisch sämtliche wichtigen Momente eines Lebens während eines durchschnittlich langen Auftritts
     einer Kneipenband zu zergrübeln.
    Nachdem die Band den paar Leuten, die applaudierten, zugewunken hatte und von der Bühne gegangen war, verschwand auch John
     durch eine Tür im Backstage-Bereich. Ein paar Minuten später führte er die Band für die Zugabe zurück auf die Bühne.
    »Wie einige von euch wissen, ist es schon lange her, dass ich so was hier gemacht habe«, sagte John ins Mikrofon. Ein paar
     Leute in der Bar lachten, entweder weil sie den Hintergrund kannten oder weil sie John schon mal singen gehört hatten. Tucker
     behielt den Typ im Auge, der sie vorher so angestarrt hatte. Er war bereits aufgesprungen und eilte vor die Bühne. Er sah
     aus, als würde er vor Aufregung gleich ohnmächtig. John schnappte sich das Mikro, nickte der Band zu, die in der besten Crazy-Horse-Imitation,
     die sie drauf hatte, eine holprige, aber wiedererkennbare Version von ›Farmer John‹ anstimmte. Fucker klang schauderhaft,
     zu laut, falsch und verrückt, aber das war diesem Fan offenbar gleichgültig, denn er hüpfte aufgeregt auf und ab und machte
     mit seinem Fotohandy so viele Fotos, wie er nur konnte. John beendete seinen Auftritt mit einem ungelenken Luftsprung, einige
     Sekunden, nachdem die Band bereits den letzten Akkord rausgehauen hatte, und strahlte Tucker dann glücklich an.
    Der junge Typ hielt John auf, als er zurück zu seinem Platz wollte, und John unterhielt sich einen Moment mit ihm.
    »Was hast du ihm erzählt?«
    »Ach, nur einen Haufen Quatsch. Aber egal. Tucker Crowe hat gesprochen.«
     
    Als Tucker an diesem Abend nach Haus kam, waren alle schon im Bett, also setzte er sich hin und schrieb der Englischen Annie.
     Sie hieß Englische Annie, weil sienicht die Annie war, mit der er seit einiger Zeit einen züchtigen, aber immerhin aufbauenden Flirt angefangen hatte. Die amerikanische
     Annie war die Mutter von Jacksons Schulfreund Toby. Sie war Mitte dreißig, frisch geschieden, einsam und hübsch. Ein paar
     Stunden – na gut, ein paar Minuten – nachdem Cat ihm erklärt hatte, sie hätten das Ende der Fahnenstange erreicht, hatte er
     schon an sie denken müssen. Vielsagenderweise hatte ihn der Gedanke an Tobys Annie nicht sonderlich aufgeheitert. Er hatte
     nur eine ganze Wagenladung bitterer, unausweichlicher Folgen gesehen: schlecht beratener Sex, seine Unfähigkeit, mehr daraus
     werden zu lassen, Kränkung, und schließlich das Zerbrechen einer Beziehung, die für Jackson eine der wichtigsten war.
    Gut, scheiß drauf. Vielleicht sollte er sich lieber darauf konzentrieren, mit jemandem zu flirten, der auf einem anderen Kontinent
     lebte, eine Frau, die es nur im Cyberspace gab und die keinen Sohn in Jacksons Little-League-Mannschaft hatte, oder überhaupt
     keinen Sohn, was ja einer der Gründe war, wieso sie überhaupt so schön empfänglich gewesen war. Jedenfalls hatte er schon
     in dieser Kneipe an die englische Annie denken müssen. Ein paar der Fragen, die sie in ihrer letzten Mail aufgeworfen hatte,
     glichen den Fragen, die er sich auch während seiner akustischen Einkerkerung an diesem Abend gestellt hatte, und vielleicht
     war es einfacher, sich ihnen im Rahmen der Korrespondenz mit jemand anderem zu stellen.
     
    Liebe Annie,
    Hier ein weiterer Beleg dafür, dass ich der bin, der zu sein ich behaupte. Hast du mal dieses Bild gesehen, das jemand vor
     ein paar Jahren von einem verschreckten, irren Typen gemacht hat? Du schreibst, du kennst Leute, die immer noch auf meine
     Sachen stehen – also, das sind die Leute, die dieses Foto kennen, weil sie meinen, dass ich da drauf wäre. Sie glauben, es
     sei das aufschlussreiche, wenn auch wenig schmeichelhafte Porträt eines kreativen Genies, das so was wie einen Nervenzusammenbruch
     hatte, aber das ist es nicht. Es ist das Porträtfoto meines Nachbarn John, der ein netter Kerl, aber bestimmt kein kreatives
     Genie ist, soweit ich weiß. Und er hatte auch keinen Nervenzusammenbruch. Er flippte nur gerade aus. John drehte durch, weil
     er verständlicherweise nicht wollte, dass dieser Typ ihn ständig

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