Juliet, Naked
da versteckte Botschaften
sind.«
Nur ein Einziger auf dem Messageboard hatte das jemals getan, aber der tat wirklich den lieben langen Tag lang gar nichts,
da er, wie schließlich herauskam, in der psychiatrischen Abteilung einer Klinik saß, aber Duncan verstand, was sie meinte.
Im selben Moment, in dem Duncan etwas zu tun gefunden hatte – nämlich alles zu tun, um dem Irren, der sein Leben zu steuern
schien, das Lenkrad aus der Hand zu reißen – war Tucker vergessen gewesen. Eines Abends, als Gina bereits ins Bett gegangen
war, setzte er sich an den Computer und klickte sich wieder in seine kleine Community ein, hauptsächlich um sich für ein paar
Minuten mal wieder normal zu fühlen, um etwas zu tun, was er früher immergetan hatte. Ein erst vor wenigen Tagen entstandenes Foto von Tucker anzustarren, das ihn mit einer Band auf der Bühne zeigte,
von der Duncan noch nie gehört hatte, war seiner Neuorientierung jedoch nicht sehr förderlich. Im Gegenteil, sie ließ ihm
eher schwummerig werden.
Das Foto wirkte echt. Der Mann war zweifellos der von dem berühmten Neil-Ritchie-Foto – die gleichen langen grauen Dreadlocks,
die gleichen verfärbten Zähne, nur, dass man sie diesmal sah, weil Tucker grinste, und nicht, weil er sie vor Wut gebleckt
hatte.
Es war unglaublich, dass zufällig jemand, der Tucker kannte, im Publikum gewesen war: Die Band war, soweit man das beurteilen
konnte, eine ausgesprochen durchschnittliche Kneipenband, die in ganz Pennsylvania auftrat, aber kaum darüber hinaus. Wie
sich herausstellte, war der junge Mann, der diesen Treffer gelandet hatte, auf einer ganz ähnlichen Crowe-Pilgertour gewesen,
wie Duncan und Annie sie im Sommer gemacht hatten. Er jedoch hatte tatsächlich versucht, Tucker aufzuspüren, und wie es schien,
mit verblüffendem Erfolg. Aber warum gerade ›Farmer John‹? Das würde sich Duncan noch durch den Kopf gehen lassen müssen.
Jemand, der so überlegt und durchdacht handelte wie Crowe, würde mit dem Song, mit dem er sein zwanzig Jahre währendes Schweigen
brach, irgendetwas mitteilen wollen. Aber was? Duncan hatte natürlich die Neil-Young-Version; er würde versuchen, das Original
zu finden, bevor er zu Bett ging. Aber es ging ja noch weiter. Dem Augenzeugen, der sich nur mit seinen Initialen ET auswies,
war es gelungen, Crowe anzusprechen, als der von der Bühne kam, und Crowe hatte geantwortet.
Ich dachte mir also, versuch dein Glück, ging zu ihm hin und sagte, Tucker, ich bin ein großer Fan von dir und freue mich
zu sehen, dass du wieder auftrittst. Ich weiß, bescheuert, aber denkt euch mal was Besseres aus. Und dann fragte ich: Wirst
du demnächst auch wieder mit deinen eigenen Songs auftreten? Und er sagte JA und dass demnächst ein neues Album rauskäme.
Ich sagte, Ich weiß, Naked, aber er sagte Nein, der Scheiß doch nicht.
Duncan lächelte. Diese Art der Selbstgeißelung bewies ihm, seltsamerweise fast noch sicherer als das Foto, dass es sich wirklich
um Tucker handelte. Es war ein vertrautes Muster, das man von zahllosen Interviews in alten Tagen kannte. Tucker wusste, dass Naked kein Scheiß war, aber es war absolut typisch für ihn, gegenüber einem total elektrisierten Fan so wegwerfend davon zu reden.
Duncan nahm sich allerdings vor, diesen Teil der Geschichte Annie zu verschweigen. Sie würde es missverstehen und glauben,
Tucker teile ihre Meinung zu dem Album, obwohl es eigentlich genau umgekehrt war.
Es kommt ein neues Album von mir raus mit Coverversionen von Dean-Martin-Songs, aber eher so im Stil von Roots Rock und ich
sagte WOW und er grinste und setzte sich dann wieder zu seinem Bekannten und ich dachte, jetzt kannst du ihn nicht noch mal
nerven. Ich weiß, das mit Dean Martin klingt verrückt, aber das hat er gesagt. Ich kann euch gar nicht beschreiben, wie toll
das alles war, ich zittere immer noch am ganzen Leib.
Es kam ihm falsch vor, dass er nichts davon mit Annie teilen konnte. Gina würde sicher begeistert sein, wenn er es ihr morgen
früh erzählte; andererseits konnte man Gina für alles und jeden begeistern, und manchmal fragte er sich, ob ihre Begeisterung
überhaupt echt war. Er fand sie mitunter etwas theatralisch, auch wenn ihn womöglich nur ihr Beruf darauf gebracht hatte.
Aber sie war eben Schauspielerin, also schauspielerte sie, selbst wenn die Motive ihrer Figur für sie nicht ganz ersichtlich
waren. Sie konnte unmöglich
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