Juliet, Naked
fotografierte, vielleicht, weil er eine komplette Cannabisplantage
hinterm Haus hat. (Ich weiß nicht, ob er die hat oder nicht. Ich weiß nur, dass er fremde Besucher nicht mag.)
Tucker hörte auf zu schreiben und öffnete sein Fotoarchiv. Er hatte schon ein paarmal ein Bild an eine Mail angehängt und
war sich ziemlich sicher, dass er noch wusste, wie es ging. Er fand eins von sich und Jackson vor dem Citizens Bank Park im
Sommer dieses Jahres und klickte optimistisch das Büroklammer-Icon an. Es schien zu funktionieren. Aber würde sie denken,
er wollte sie anbaggern? Konnte ein Foto von ihm mit seinem süßen Sohn, keine Frau in Sicht, als Anmache aufgefasst werden?
Sicherheitshalber entfernte er den Anhang wieder.
Aber es ist eine gute Story, oder? Hier bei uns wurde John daraufhin Fucker getauft (= der falsche Tucker), entschuldige meine
rüde Ausdrucksweise. Und entschuldige, dass ich ein Wort, das sich auf ein religiöses Sakrament bezieht, in einem Atemzug
mit einer Obszönität gebrauche. Heute Abend nun ist Fucker mit einer hiesigen Kneipenband aufgetreten und hat damit einen
jungen Typen völlig aus dem Häuschen gebracht, der offenkundig überzeugt war, meine Auferstehung mitzuerleben. Wenn dir irgendwer
erzählt, ich plane ein Comeback, kannst du ihm sagen, das sei Farmer John gewesen (und der hat auch ›Farmer John‹ gesungen.
Kennst du das Stück? ›I’m in love with your daughter, woa wo‹?).
Nein, das Foto passte zu der Mail. Wie sonst sollte er beweisen, dass er nicht wie John aussah? Er wollte nicht versuchen
zu beweisen, dass er besser aussah als John. Er versuchte nur, zu beweisen, dass er und John sich überhaupt nicht ähnlich
sahen und diese ganze Der-Irre-aus-den-Wäldern-Geschichte eine lächerliche Internet-Legende war. Er hängte den Anhang wieder
dran.
Das hier bin ich mit meinem jüngsten Sohn Jackson vor einem Baseball-Stadion. Seit ich keine Musik mehr mache, trage ich mein
Haar kurz, wahrscheinlich weil ich Angst habe, die Leute könnten denken, ich wäre zu einer Art John geworden. Außerdem trage
ich im Gegensatz zu früher eine Brille. Ich habe viel Zeit damit verbracht, die kleine Schrift großer Romane zu entziffern
und
»Großer Romane?« Warum hatte er das Bedürfnis, der englischen Annie zu erklären, wozu er die Brille brauchte? Damit sie nicht
dachte, er würde sich zu oft einen runterholen? Er löschte die letzte Zeile. Das ging sie gar nichts an. Außerdem klang das
»Entschuldige meine Ausdrucksweise« zimperlich. Wenn sie einen rüden Umgangston nicht abkonnte, dann leck mich doch … Diese
Formulierung wiederum warf ein paar andere Fragen auf: Welches Bild machte er sich eigentlich von derenglischen Annie? Würde er die Korrespondenz auch dann noch fortsetzen, wenn er wüsste, dass sie zweihundert Pfund wöge? Vielleicht
sollte er sie auch um ein Foto bitten, allerdings würde er dann wirklich wie ein unheimlicher Stalker wirken. Und überhaupt,
was stellte er sich denn vor, was sich mit diesem Mädchen ergeben könnte? Sollte er sie einladen, mal herzukommen? Aber wenn
er jetzt so darüber nachdachte …
Wahrscheinlich komme ich irgendwann in den nächsten Monaten nach England, um meinen Enkel zu besuchen. Wie weit ist dein Museum
denn weg von London, wo meine Tochter lebt? Ich würde mir gerne deine Fotos vom toten Hai ansehen. Oder fährst du auch manchmal
runter in den Süden? Ich kenn eigentlich niemanden näher in England, daher …
Daher was? Er strich den letzten Halbsatz und dann auch den davor. Aber es war doch okay, jemandem zu schreiben, dass man
seine Fotos vom toten Hai sehen wollte, oder? Oder hatte auch das einen schmierigen Beiklang? Herrje. Es hatte schon seinen
Grund, dass er es aufgegeben hatte, mit Leuten zu reden, die er nicht kannte.
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Die Sensationsmeldung, dass Tucker einen bizarren öffentlichen Auftritt gehabt hatte, erreichte Duncan mit ein paar Tagen
Verspätung. In seinem eigenen Leben passierte gerade so viel, dass er keine Zeit gefunden hatte, die Website zu checken, ein
Versehen, das, wie ihm später auffiel, eine von Annies grausamen Theorien über Crowologen eindrucksvoll bestätigte.
»Ich weiß, ›get a life‹ ist ein Klischee«, sagte sie immer. »Aber im Ernst, wenn diese Leute den lieben langen Tag lang irgendwas
Vernünftiges zu tun hätten, hätten sie keine Zeit, seine Texte rückwärts aufzuschreiben, um zu sehen, ob
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