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Juliet, Naked

Juliet, Naked

Titel: Juliet, Naked Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Hornby
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freut mich aber zu hören«, erklärte Ros.
    »Ich weiß nicht mal, was Northern Soul ist«, gestand Annie. Sie war sich einigermaßen sicher, dass in diesem Eingeständnis
     nichts Beleidigendes lag, und soweit sie feststellen konnte, war sie diesmal immerhin nicht puterrot angelaufen.
    »Du weißt nicht, was das ist?«, wiederholte Barnesy ausdruckslos. »Wie kannst du nicht wissen, was das ist? Magst du Musik
     nicht, liegt es daran?«
    »O doch. Ich liebe Musik. Aber …«
    »Worauf stehst du denn?«
    »Och, alles Mögliche.«
    »Zum Beispiel?«
    Das, so fand sie, war ja unerträglich. Tauchte diese Frage wirklich in ihrem Alter noch auf? Offensichtlich ja, und offensichtlich
     wurde es immer schwieriger, sie zu beantworten, je älter man wurde. In der Ära vor Duncan war es einfach gewesen: Sie war
     jung und mochte immer genau die gleiche Musik wie der junge Mann, der sie fragte und, genau wie sie, entweder gerade ein Studium
     anfangen wollte oder im Grundstudium oder im Hauptstudium steckte. Da hatte sie sagen können, dass sie gerne die Smiths hörte
     und Dylan und Joni Mitchell, und der junge Mann hatte genickt und ihre Liste noch um The Fall ergänzt. Einem Jungen aus deinemTutorium zu erzählen, man möge Joni Mitchell, war eigentlich nur eine andere Art, ihm zu sagen: »Wenn’s zum Schlimmsten kommt,
     und du mich anbumst, kriegen wir das schon hin.« Aber jetzt wurde offenbar erwartet, dass sie es Menschen erklärte, die nicht
     wie sie waren und vielleicht auch keinen geisteswissenschaftlichen Abschluss hatten (sie wusste, dass sie nur mutmaßte, aber
     war sich ziemlich sicher, dass Barnesy kein Anglistikstudium hinter sich hatte), und sie wusste, dass sie sich nicht würde
     verständlich machen können. Wie sollte sie auch, wenn sie auf wesentliche Bestandteile ihres Vokabulars verzichten musste?
     Namen wie Atwood, Austen oder Ayckborn? Und das waren nur die mit A. Es war schwierig, mit einem anderen menschlichen Wesen
     ohne diese Krücken zu kommunizieren. Denn es bedeutete, etwas anderes zu offenbaren, etwas, das über Bücherwissen hinausging.
    »Keine Ahnung. Ich hör zum Beispiel viel Tucker Crowe.«
    Stimmte das? Oder dachte sie nur viel über Tucker Crowe nach? War das ihre Art zu sagen: »Ich bin verknallt in einen Mann,
     dem ich nie begegnet bin und der auf einem anderen Kontinent lebt«?
    »Was macht der? Scheiß-Country & Western? Ich hasse diesen Schrott.«
    »Nein, nein. Er ist mehr so wie, sagen wir mal Bob Dylan oder Bruce Springsteen. Leonard Cohen.«
    »Der Boss ist gelegentlich ganz okay. ›Born In The USA‹ kann man gut hören, wenn man ein paar intus hat und auf der Fahrt
     nach Hause ist. Bob Dylan ist Studentenscheiß, und von dem anderen, diesem Leonard, hab ich noch nie gehört.«
    »Aber ich find auch Soul gut. Aretha Franklin und Marvin Gaye.«
    »Ja, die sind ganz okay. Aber Dobie Gray ist schon was anderes, oder?«
    »Tja, stimmt«, sagte Annie. Sie hatte keine Ahnung, wer Dobie Gray war, aber es stimmte ganz sicher, dass er (er?) was anderes
     als Marvin oder Aretha war. »Was ist denn eigentlich so von Dobie Gray?«
    »Na das da eben! ›Out On The Floor‹!«
    »Und so was findest du gut.«
    »Na, das ist, was weiß ich, so was wie die Nationalhymne des Northern. Da geht’s nicht um gut finden oder nicht gut finden.
     Das ist ein Klassiker.«
    »Verstehe …«
    »Genau. Dobie. Und dann wären da noch Major Lance, Barbara Mason und …«
    »Okay, kenn ich aber nicht.«
    Barnesy zuckte die Achseln. In diesem Fall, sollte das Achselzucken wohl besagen, kann ich nicht viel für dich tun. Für einen
     Moment wollte Annies pädagogische Ader durchbrechen, obwohl es ja eigentlich sie war, die hier etwas zu lernen hatte. »Das
     kannst du doch besser«, wollte sie sagen. »Ich erwarte ja keine druckreifen Vorträge, aber du könntest schon versuchen, mir
     zu erklären, wie sich die Musik anhört.« Zwangsläufig musste sie an Duncan denken – seine Ernsthaftigkeit, sein Bemühen, Tuckers
     Musik durch seine Beschreibungen lebendig werden zu lassen. Sicher gab es noch mehr über Tucker zu sagen, diese Juliet-Geschichte
     zum Beispiel oder die Anspielungen auf das Alte Testament. Aber machten diese Zusatzinfos irgendetwas besser? Und wurde Duncan
     dadurch interessanter?
    Durch vorsichtiges Nachfragen bekamen Annie und Ros schließlich heraus, dass Northern Soul deshalb so hieß, weil Leute in
     Nordengland, vor allem in Wigan, ihn gerne hörten, was sie

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