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Juliet, Naked

Juliet, Naked

Titel: Juliet, Naked Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Hornby
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bemerkenswert undeigenartig ermutigend fanden: Es kam nur sehr selten vor, dachten sie, dass Leute aus Wigan und Blackpool der schwarzen US-Kultur
     etwas hinzuzufügen hatten. Die Musik stammte zum größten Teil aus den 1960ern und hörte sich, soweit sie es beurteilen konnte,
     wie Tamla Motown an.
    »Aber Motown ist viel zu bekannt, versteht ihr?«, sagte Gav.
    »Zu bekannt?«
    »Wird zu oft gespielt. Es muss eher unbekannt sein.«
    So würde Duncan trotz aller entgegengesetzten Anzeichen doch eine gemeinsame Basis mit Gav und Barnesy finden. Sie teilten
     das gleiche Bedürfnis nach Obskurität, das gleiche Misstrauen gegenüber Songs, die ein große Zahl von Menschen erreichten,
     als seien sie dadurch irgendwie entwertet.
    »Aber egal«, sagte Barnesy, »kommt ihr mit oder nicht?«
    Annie schaute Ros an, Ros schaute Annie an, dann zuckten sie die Achseln, lachten und tranken aus.
    Der Allnighter fand im Gooleness Working Men’s Club statt, ein Laden, an dem Annie schon tausendmal vorbeigegangen sein musste, ohne ihn wahrzunehmen. Sie versuchte, die Feminismuskarte
     auszuspielen und sich einzureden, sie hätte ihn nur nicht bemerkt, weil sie dort ohnehin nicht willkommen gewesen wäre, doch
     sie wusste, dass es nicht nur daran lag: Das zweite Wort im Clubnamen war für sie genauso abschreckend wie das dritte.
    Während sie warteten, dass ihre neuen Freunde den Eintritt bezahlten (Frauen, bemerkte sie, zahlten an diesem Abend nur die
     Hälfte, was bedeutete, dass Ros und sie für einen Fünfer reinkamen), verspürte Annie ein seltsames Gefühl des Triumphes: Sie
     standunmittelbar davor, das echte Gooleness kennenzulernen, eine Stadt, die ihr jahrelang erfolgreich ausgewichen war. Barnesy
     hatte ihnen erzählt, dass das, was sie nun zu sehen bekämen, ja, woran sie sogar teilhaben könnten, wenn sie ihren ganzen
     Mut zusammennähmen und mittanzten, das sei, wofür Gooleness eigentlich stand. Seine Begeisterung war unübersehbar. Als Annie
     nun also die Treppe zum Club hinunterstieg, erwartete sie eine zuckende, tobende, wogende Menge Tanzender, von denen sie viele
     Gesichter wiedererkannte: Sie wollte ehemalige Schüler entdecken, hiesige Ladenbesitzer und Stammgäste des Museums, die sie
     anblicken und rufen würden: »Wir sind alle da! Wo warst du denn so lange?« Jetzt könnte es so weit sein, dachte sie. Heute
     könnte es passieren, dass ich endlich hier ankomme.
    Aber als sie um die Ecke bogen und zum ersten Mal die Tanzfläche vor sich sahen, schrumpfte das Hochgefühl zu einem kleinen
     harten Knoten Verlegenheit zusammen. Es waren höchstens dreißig oder vierzig Leute in dem großen Kellerraum, und nur etwa
     ein Dutzend davon tanzte. Jeder Tänzer hatte massenhaft Platz (es waren vornehmlich Männer, und die meisten von ihnen tanzten
     allein). Keiner der Tänzer konnte auch nur annähernd als jung bezeichnet werden. Es zeigte sich, dass Gooleness genau das
     war, was sie schon immer gewusst hatte: Ein Ort, der seine besten Tage hinter sich hatte, ein Ort, der sich verbissen an das
     klammerte, was noch von den guten Zeiten übrig war, die er irgendwann erlebt hatte, damals in den Achtzigern, den Siebzigern,
     den Dreißigern oder dem Jahrhundert davor. Gav und Barnesy blieben einen Moment auf der Treppe stehen und schauten wehmütig
     zu.
    »Ihr hättet es mal früher sehen müssen, als wir hier anfingen«, sagte Gav. »Es war irre.«
    Er seufzte. »Warum muss bloß alles so vor die Hunde gehen? Hol uns ’n Bier, Barnesy.« Wenn Gav oder Barnesy das Vor-die-Hunde-Gehen
     vorher erwähnt hätten, dachte Annie, hätten sie sich das Mitkommen sparen können.
    Ros und Annie nahmen an, dass sie an dieser Runde nicht beteiligt waren, und so ging Ros was zu trinken holen, während Annie
     einen älteren Mann mit ergrauter Tolle beobachtete, der nicht so recht wusste, ob er tanzen oder bloß mit dem Fuß wippen und
     den Fingern schnippen sollte. Es war Terry Jackson vom Kulturausschuss, der mit dem Schatz alter Busfahrkarten. Als Jackson
     Annie entdeckte, schaute er verschreckt, und das Fingerschnippen erstarb.
    »Mein lieber Herr Gesangsverein«, sagte er. »Annie, die Museumsfrau. Hätte ja nicht gedacht, dass das hier Ihr Ding ist.«
    »Aber es ist doch alte Musik, stimmt’s?«, meinte sie. Sie war recht zufrieden mit dieser Entgegnung. Es war nicht gerade ein
     Brüller, aber eine passende und fröhliche Bemerkung und die auch noch einigermaßen schnell hervorgebracht.
    »Wie meinen Sie

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