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Juliet, Naked

Juliet, Naked

Titel: Juliet, Naked Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Hornby
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das?«
    »Alte Musik. Museum.«
    »Ah, verstehe. Nicht übel. Wer hat Sie mitgebracht?«
    Sie verspürte einen Anflug von Ärger. Warum musste sie jemand ›mitgebracht‹ haben? Warum konnte sie diesen Laden nicht selbst
     entdeckt haben und allein gekommen sein – oder sogar andere zum Mitkommen überredet haben? Aber eigentlich kannte sie die
     Antwort auf diese Fragen. Es gab keinen Grund, die Beleidigte zu spielen.
    »Zwei Jungs, die wir im Pub getroffen haben.« Sie verspürte den Drang, über das absolut Exotische diesernormalsten aller Erklärungen zu lachen. Sie war einfach niemand, der zwei Typen in einem Pub kennenlernte.
    »Ich kenn die bestimmt«, sagt Terry. »Wer war’s denn?«
    »Zwei Jungs aus Scunthorpe.«
    »Doch nicht etwa Gav und Barnesy? Das sind zwei echte Legenden.«
    »Im Ernst?«
    »Na ja, eigentlich nur, weil sie seit über zwanzig Jahren von Scunny rüberkommen und nie fehlen. Und Barnesy tanzt irrsinnig
     gut, wussten Sie das?«
    »Hat er uns im Pub gezeigt.«
    »Der nimmt das richtig ernst. Hat immer sein Döschen Talkumpuder dabei.«
    »Was macht er denn damit?«
    »Er streut es auf den Boden. Wegen der besseren Haftung. So machen das die Profis. Talkum und ein Handtuch, das hat er in
     seiner Sporttasche.«
    »Dann sind Sie wohl kein Profi, oder, Terry?«
    »Ich kann nicht mehr so tanzen wie früher. Aber ich würd keinen Allnighter auslassen. Das ist das Letzte, was uns hier noch
     geblieben ist, mehr oder weniger. Es ist so was wie ein langer Abschied von den alten Zeiten, als ich noch meinen Scooter
     hatte, und wir uns … Kloppereien auf der Promenade lieferten. Die Mods hier sind alle Northern Soulies geworden. Aber das
     wird wohl nicht mehr lange so bleiben. Schauen Sie sich doch um.«
    Plötzlich sah Annie alles mit erschreckender Klarheit, und sie fühlte sich ganz kläglich. Alles war verloren, aus und vorbei.
     Gooleness, Duncan, ihre gebärfähigen Jahre, Tuckers Karriere, Northern Soul, die Ausstellungen im Museum, der schon ewig tote
     Hai, die Flosse des schon ewig toten Hais, sein Auge, die 60er-Jahre, der Working Men’s Club, die Arbeiterschaft überhaupt … Siewar heute Abend ausgegangen, weil sie geglaubt hatte, es müsse doch irgendwo eine Gegenwart geben, und sie hatte sich Gav
     und Barnesy angeschlossen, weil sie gehofft hatte, die beiden wüssten den Weg dorthin. Stattdessen war sie mit ihnen in einem
     weiteren Geisterhaus gelandet. Wo war das Hier und Jetzt? Wahrscheinlich in Scheiß-Amerika, nur nicht da, wo Tucker wohnte,
     oder im dämlichen Tokio. In jedem Fall woanders. Wie konnten es die Menschen, die nicht in den Scheiß USA oder im dämlichen
     Tokio lebten, nur aushalten, ständig in der Vergangenheit herumzupaddeln?
    Weil diese Leute Kinder hatten. Deswegen ertrugen sie es. Diese Erkenntnis stieg durch den Gin, den sie getrunken hatte, langsam
     empor, und dann etwas schneller durch das Lager, das sie obendrauf gekippt hatte, und das Bitter, das auf das Lager gefolgt
     war – das es zunehmend schneller ging, lag wohl am Kohlensäuregehalt. Deswegen wollte sie auch Kinder. Es hieß ja immer, Kinder
     seien die Zukunft, aber das waren sie gar nicht: Sie waren die unreflektierte, aktive Gegenwart. Sie waren nicht nostalgisch,
     weil sie es gar nicht konnten, und sie wirkten bei ihren Eltern als Nostalgiebremse. Selbst wenn sie krank waren, von anderen
     Kindern schikaniert wurden, heroinsüchtig oder schwanger wurden, sie lebten im Jetzt, und Annie wollte nichts anderes. Sie
     wollte vor Sorgen um Schule, Mobbing und Drogen verrückt werden.
     
    Eine Erleuchtung also. So erschien es ihr. Aber Erleuchtungen sind ein bisschen wie gute Vorsätze zum neuen Jahr: Sie werden
     einfach ignoriert, besonders wenn sie während eines Northern-Soul-Allnighters und unter Alkoholeinfluss stattfinden. Annie
     hatte bislang vielleicht drei oder vier Erleuchtungen in ihrem Lebengehabt, und jedes Mal war sie entweder betrunken oder im Stress gewesen. Was nutzte einem da eine Erleuchtung? Die brauchte
     man zweifellos, wenn man auf einem einsamen Berggipfel saß und kurz vor einer das ganze Leben verändernden Entscheidung stand,
     aber sie konnte sich nicht erinnern, jemals eine dieser Erfahrungen gemacht zu haben, geschweige denn zwei. Und überhaupt,
     was nutzte einem eine Erleuchtung, wenn sie einem vor Augen führte, dass sich alles um Totes oder Sterbendes drehte? Was brachte
     ihr diese Erkenntnis?
    Und weil sie ihre Erleuchtung ignorierte, blieb sie im

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