Juliet, Naked
vorgestellt
hatte, als sie fünfundzwanzig war? Es lief immer wieder auf Sex hinaus. Es war verkürzend und einfallslos, das wusste sie,
aber es war auch unwiderlegbar: Duncan hatte sie nicht nur um den Sex mit anderen gebracht, sondern sogar um den mit ihm.
(Sie waren nie ein besonders sexversessenes Pärchen gewesen, aber wer immer über so etwas Buch führt, konnte bestätigen, dass
er häufiger ihre Annäherungsversuche zurückgewiesen hatte als sie seine.) Wie konnte sie mit neununddreißig fünfzehn Jahre
verpasster Gelegenheiten wieder aufholen? Auf wie viel Sex lief das überhaupt hinaus? Angenommen, sie hätte vor fünfzehn Jahren
jemanden getroffen, densie leidenschaftlich liebte, und die Beziehung hätte gehalten? Dann wären es fünfzehn Jahre Sex mit dem Anderen Mann (AM)
minus fünfzehn Jahre Sex mit Duncan. Auch noch die Qualität (Q) in die Berechnung miteinzubeziehen, erforderte einen Grad
mathematischen Sachverstandes, der jenseits ihrer Möglichkeiten lag, auch wenn sie wahrscheinlich nur dadurch zu einem exakten
Ergebnis kommen würde.
Anders gesagt: Sie wollte wissen, ob irgendwer Sex mit ihr haben wollte. Wo anfangen? In Gooleness?
Als Erstes fragte sie Ros, denn Ros war jünger, und Jüngere waren näher dran am Sex als sie.
»Ich kann dir sagen, wie man lesbische Frauen in London kennenlernt«, erklärte Ros.
»Fein. Danke. Ich versuche es erst mal mit Heteromännern in Gooleness, komme aber im Notfall auf dich zurück.«
»Was soll’s denn werden? Ein One-Night-Stand?«
»Vielleicht. Wenn es dann zwei Nächte werden, würde ich auch nicht meckern. Außer natürlich, die erste Nacht war scheußlich.
Kennst du irgendwelche Singlemänner?«
»Hmmmmm … Ich weiß nicht, ob es hier welche gibt. Nicht von der Sorte, die du suchst.«
»Wonach suche ich denn?«
»Na ja, in Gooleness gibt’s Clubs und Jungs, aber …«
»Ich weiß, welche fünf Wörter als nächstes kommen.«
»Ach ja?«
»›Versteh mich bitte nicht falsch‹.«
Ros lachte.
»Wir könnten ja zusammen ausgehen«, sagte Ros. »Wenn du willst.«
»Aber du bist doch …«
»Lesbisch? Verheiratet?«
»Beides.«
»Das ist es doch: Ich seh mich nicht um – ich helfe dir, dich umzusehen. Und in der Zwischenzeit machen wir uns einen schönen
Abend. Wenn es so aussieht, als hättest du Glück, ziehe ich mich diskret zurück. Es sei denn, du brauchst mich zur Unterstützung.«
»Sei nicht so obszön.«
»Sei nicht so prüde. Die Zeiten haben sich geändert, seit du das letzte Mal die erste Nacht mit jemandem verbracht hast. Oder
gibt es jemanden, den du mir verschwiegen hast?«
»Nein. Duncan. 1993.«
»Au weia. Dann mach dich auf was gefasst.«
»Das macht mir ja gerade Sorgen. Worauf muss ich mich gefasst machen?«
»Ich denke da an eine Welt voller Pornografie und Sextoys. Und ich gehe davon aus, dass mindestens drei Leute beteiligt sein
werden.«
»O Gott.«
»Und fünfzehn Minuten, nachdem du es mit mindestens zwei weiteren Leuten getrieben hast, werden aussagefreudige Fotos deines
neununddreißigjährigen Körpers auf den Handys all deiner Bekannten auftauchen. Und natürlich im Internet, aber das versteht
sich ja von selbst.«
»Schön. Ah ja. Wenn das nun mal dazugehört …«
»Das Ideale wäre doch sicher jemand Ähnliches wie du, oder? Ich meine jetzt nicht eine Museumskuratorin, aber jemanden, der
auch gerade aus einer langjährigen Beziehung kommt und genauso ahnungslos ist, was heute angesagt ist.«
»Würde ich sagen.«
»Lass mal überlegen; was hast du Freitagabend vor?«
Annie starrte sie an.
»Klar. Verstehe. Sorry. Treffen wir uns doch um sieben im Rose & Crown. Ich bring einen Plan mit.«
»Einen Sexplan?«
»Du sagst es.«
Das Rose & Crown auf halbem Weg zwischen Museum und College war ihr üblicher Treffpunkt. Es war ein typischer Pub im Stadtzentrum,
für gewöhnlich halb voll mit Verkäuferinnen und Büroangestellten, die von den Bars an der Strandpromenade, die alle (selbst
an Sonntagnachmittagen) DJs beschäftigten, zu eingeschüchtert waren. (Annie fragte sich, ob es irgendwo im Land einen DJ gab,
der den Einstieg noch nicht geschafft hatte. Sie bezweifelte es angesichts der Masse von Lokalen, die offenbar nicht ohne
auskamen. Im Gegenteil, sie hatte den Verdacht, dass der Bedarf so groß war, dass man noch zusätzlich junge Menschen dazu
zwang, in Kneipen Musik aufzulegen, ob sie wollten oder nicht, so eine Art Wehrdienst.) Das
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