Juliet, Naked
scheußlichen Hollywoodagentur. Möglicherweise. Jedenfalls war er ein
komplett talentfreier Blutsauger, da war sich Tucker sicher. Es war leicht, sich solchen Menschen überlegen zu fühlen, solange
man selbst als Talent galt. Aber wenn man dann nicht mehr als eins galt, wurden sie plötzlich zu erwachsenen Menschen, die
einer Arbeit nachgingen, und man selbst war der hoffnungslose Loser, der auf ihre Almosen angewiesen war.
»Kennst du jemanden in London?«, fragte Natalie. »Gibt’s jemanden, bei dem du wohnen kannst?«
»Ja«, sagte Tucker. »Gut, sie wohnt nicht direkt im Zentrum, aber wir können ja den Zug nehmen oder so.«
»Wo wohnt ›sie‹ denn?« Tucker war sich ziemlichsicher, dass das ›sie‹ in Anführungszeichen gesetzt gewesen war.
»Der Ort heißt Gooleness. Das ist an der Küste.«
»Gooleness?«, kreischte Natalies Stimme aus der Leitung. »Woher um alles in der Welt kennst du jemanden aus Gooleness?«
»Lange Geschichte.«
»Das ist Hunderte von Meilen von London weg. Da kannst du unmöglich wohnen. Mark und ich werden dir hier was besorgen.«
Mark also, nicht Simon. Und bei weiterem Nachdenken war Mark vielleicht doch nicht der talentfreie Blutsauger. Vielleicht
war das der Ehemann einer anderen.
»Wirklich? Ich möchte euch keine Unannehmlichkeiten machen.«
»Lizzies Wohnung steht zum Beispiel momentan leer. Sie und Zak werden erst mal eine Weile bei uns wohnen, wenn sie rauskommt.«
War Zak Lizzies Freund? Hatte er den Namen schon mal gehört? Das Problem war, es gab einfach zu viel Personal, zu viele Kinder,
zu viele Stiefväter, zu viele Halbbrüder und Halbschwestern. Ihm wurde klar, dass er noch nicht einmal die Hälfte der Menschen,
mit denen seine Kinder verwandt waren, beim Namen nennen konnte. Natalie hatte beispielsweise weitere Kinder, aber wer zum
Teufel wusste, wie die hießen? Cat, die wusste es.
»Und willst du immer noch Jackson mitbringen? In Anbetracht der Tatsache, dass das mit dem Betreuungsproblem frei erfunden
war?«
»Ich glaub nicht, nein.«
Er würde also allein nach London fliegen.
»Sind wir bald da?«
»In zehn Minuten. Aber, Jackson, du verstehst schon, dass wir in zehn Minuten am Flughafen sind, oder? Dann müssen wir auf
unser Flugzeug warten. Dann müssen wir warten, dass es startet. Und dann fliegen wir sieben Stunden. Anschließend müssen wir
auf unser Gepäck warten. Dann auf den Bus. Und dann ist es noch rund eine Stunde vom Flughafen bis zu Lizzies Wohnung. Wenn
sich das für dich nicht so spannend anhört, ist es noch nicht zu spät. Ich könnte dich auch zu deiner Mutter bringen, und
…«
»Es hört sich toll an.«
»Das ganze Rumsitzen und Warten hört sich toll an?«
»Ja.«
Dass er Jackson erklärt hatte, er würde ohne ihn zu Lizzie fliegen, war nicht gut angekommen, und es gab viele, viele Tränen,
gefolgt von bedingungsloser Kapitulation. Es hatte Zeiten in seinem Leben gegeben, da hätte er Geld dafür gegeben, wenn man
seinetwegen solche Tränen vergossen hätte: Jedes seiner anderen Kinder hatte untröstlich geweint, wenn die Mutter versucht
hätte, es für einen Nachmittag oder auch nur zwanzig Minuten (wenn sie mal in die Wanne wollte) in seiner Obhut zu lassen,
und jedes Mal war er sich erbärmlich und nutzlos vorgekommen. Seine Kinder hatten Angst vor ihm gehabt, als sie klein waren.
Nun hatte er ein Kind, das ihn brauchte, das ihn liebte und jedes Mal Angst bekam, wenn er mal rausging (denn bei Jackson
war er immer nur mal »raus« gewesen, nie »weg«), und Tucker fühlte sich dadurch irgendwie entmannt. Von Vätern wurde eigentlich
nicht erwartet, dass sie derartige Abhängigkeiten hervorriefen. Von ihnen erwartete man, dass sie auf Geschäftsreise oder
Konzerttournee gingen und ihre Kinder nicht ins Bett brachten.
Also hatte er Natalie angerufen und sie um ein zusätzliches Ticket angepumpt, wodurch er sich noch armseliger fühlte als beim
ersten Mal. Nicht für sich selber zahlen zu können, war eine Sache, aber von Vätern wurde nicht nur erwartet, dass sie abends
die Kinder nicht ins Bett brachten, sondern auch, dass sie die Familie ernährten. Er als Vater jedoch war auf die Großzügigkeit
seiner vorletzten Exfrau und ihres Blutsaugers von Ehemann angewiesen.
Sie checkten ein und kauften einen kleinen Berg Schokolade und ein paar Dutzend Comics. Tucker fühlte sich elend, war ängstlich
und verschwitzt. Als er mit Jackson kurz pinkeln ging, war er
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