Juliregen
Schicksal einen besseren Weg beschert hatte als ihm, wollte er alle anderen Möglichkeiten ausschöpfen.
Nachdem er weitere vierzig Mark ausgegeben und dabei von zwei Frauen erfahren hatte, die eventuell Adele Wollenweber sein konnten, fühlte Maruhn sich müde und erschöpft und beschloss, die Suche am nächsten Tag weiterzuführen.
Er war nicht gerade in den besten Gegenden Berlins gelandet. Das bewiesen ihm die Männer, die sich in düsteren Hauseingängen und dunklen Ecken herumdrückten und die Huren überwachten, die ein Stück weiter auf jene Freier warteten, die betrunken oder gleichgültig genug waren, um für billigen Geschlechtsverkehr in einem Hinterhof oder einem dunklen Hausflur einen Tripper zu riskieren.
So weit würde Adele Wollenweber bestimmt noch nicht gesunken sein. Er wich daher einer mageren Frau aus, die auf ihn zukam und fragte, ob er nicht mit ihr Verkehr haben wolle.
»Danke, kein Bedarf«, antwortete er und beschleunigte seinen Schritt. Sein schleppender Gang fiel jedoch auf, und an der nächsten Hausecke schälten sich zwei wenig vertrauenerweckende Gestalten aus der Dunkelheit.
»He, Mann, wenn du nicht bumsen willst, dann brauchst du auch kein Geld. Also her mit der Kohle, sonst helfen wir nach!«
Zwei Messer blitzten auf und machten Maruhn klar, dass es den Kerlen ernst mit ihrer Drohung war. Rasch fasste er seinen Gehstock mit beiden Händen, zog am Griff und hielt einen Degen in der Rechten. Bevor der erste Angreifer sichs versah, schlug der Detektiv zu und verletzte den Kerl am Arm.
»Verdammt!«, schrie der Getroffene. »Der Kerl ist bewaffnet!«
»Und bereit, euch beide zur Hölle zu schicken, wenn ihr nicht auf der Stelle verschwindet!«, setzte Maruhn mit eisiger Stimme hinzu.
Während der Verletzte blutend zurückwich, überlegte sein Kumpan, ob er es nicht doch mit dem Versehrten aufnehmen sollte. Er sprang jedoch erschrocken zurück, als die Klinge wie eine Schlange auf ihn zuglitt. Sekunden später war er in der Dunkelheit des Häusergewirrs untergetaucht.
Auch der zweite Schurke hatte das Weite gesucht, und so ging der Detektiv aufatmend weiter zum nächsten Droschkenstand, an dem nur ein einziger Wagen stand. Der Kutscher schlief, wachte aber auf, als Maruhn mit dem Griff seines Stockdegens gegen die Seitenwand klopfte.
»Wo wollen der Herr hinjebracht werden?«, fragte er noch halb benommen.
»Nach Hause«, antwortete der Detektiv und nannte ihm die Adresse, während er in den Wagenkasten stieg und auf den Polstern Platz nahm.
VI.
A ls Fridolin nach Hause kam, wartete sein Kammerdiener Krysztof Kowalczyk bereits auf ihn. Der Pole, der nach einer langen Dienstzeit in der preußischen Armee in den Ruhestand versetzt worden war, grüßte mit militärischer Disziplin.
»Melde Herrn Hauptmann gehorsamst, Auftrag ausgeführt. Bin gewesen in Bremen und habe Herrn Simmern Briefe von Herrn Hauptmann übergeben. Habe Antwort an Herrn Hauptmann dabei. Auf dem Rückweg in Steenbrook Station gemacht und Brief von Frau Gräfin an Herrn Hauptmann entgegengenommen!«
Es war Fridolin nicht gelungen, Kowalczyk dazu zu bewegen, ihn wie einen Zivilisten anzusprechen. Für den ehemaligen Feldwebel war er Hauptmann der Reserve und stand damit meilenweit über jedem, der nie eine Uniform getragen hatte. Manchmal fand Fridolin dies etwas störend, doch an diesem Tag interessierten ihn die Briefe, die sein Kammerdiener bei sich trug, weitaus mehr.
»Danke, Kowalczyk. Gut gemacht! Geben Sie mir die Briefe.«
»Mit Verlaub, Herr Hauptmann!« Der Pole deutete auf den Tisch, auf dem ein dicker Umschlag mit Thomas Simmerns Absender und ein etwas dünnerer von Lore lag.
Einen Moment lang überlegte Fridolin, mit welchem er beginnen sollte, öffnete dann den seiner Frau und musste lächeln. Lore beschrieb sehr lebendig die neuesten Abenteuer ihres ältesten Sprösslings, der mittlerweile seine Absicht, ein berühmter Wespenjäger zu werden, aufgegeben hatte und nun Kutscher oder gar Postillion werden wollte. Auch von Doro wusste Lore lebhaft zu berichten. Das kleine Mädchen hatte sich in ein Kätzchen verliebt, und Lore erklärte, sie wisse nicht, wie sie Doro daran hindern könne, es mit nach Berlin zu nehmen.
»Für eine Katze wird in diesem Haus doch wohl noch Platz sein«, murmelte Fridolin vor sich hin.
Kowalczyk fühlte sich angesprochen und nickte. »Melden gehorsamst, Herr Hauptmann, wir haben Platz. Eine Katze ist sehr gut. Fängt Mäuse. Hatten Katze in Schwadron. War
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