Juliregen
Gademer Gesichter zogen, als fragten sie sich, wo sie hingeraten waren. Rodegard von Philippstein hob in unbewusster Abwehr die Hände, ihre Tochter hingegen, die bislang geschwiegen hatte, starrte Nathalia entsetzt an.
»Bauernbetten? In denen gibt es gewiss Wanzen!«
»Wenn Sie Ungeziefer fürchten, schlage ich Ihnen vor, Sie folgen Herrn von Gademer zum Dorfkrug und nehmen dort Quartier.«
Lore gingen Nathalias Bissigkeiten mittlerweile ein wenig zu weit, und sie zupfte ihre Freundin am Ärmel. »Nati, bitte! Du bringst uns noch in Verruf. Was ist, wenn Frau von Philippstein zu Hause in Berlin zum Besten gibt, sie hätte nicht auf Klingenfeld schlafen können, weil es hier von Wanzen wimmelt. Wir könnten niemand mehr hierher einladen.«
»Also gut, in den Betten sind keine Wanzen. Ich habe sie extra geprüft.« Nathalias Miene zufolge hätte sie die Damen Philippstein lieber im Dorfkrug einquartiert, doch sie verstand Lores Befürchtung und lenkte ein. Frau Rodegard war tatsächlich zuzutrauen, Lore und Klingenfeld in Berlin anzuschwärzen.
VI.
R odegard von Philippstein war in dem festen Glauben auf dieses Gut gekommen, eine halbe Ruine anzutreffen, in der Lore ebenso verzweifelt wie vergeblich versuchte, sich häuslich einzurichten. Da sie nicht das erhoffte Chaos vorfand, äußerste sie sich herablassend über die unmodischen Barockmöbel und kritisierte die bereits eingerichteten Zimmer aufs boshafteste, so dass Jürgen immer mehr die Schultern hängen ließ. Auch von Bukow und von Gademer nutzten jede Gelegenheit, die Arbeit ihres Vetters schlechtzumachen. Jeder von ihnen hätte das Herrenhaus natürlich völlig anderes eingerichtet, ohne jedoch sagen zu können, woher er die entsprechenden Möbel genommen hätte.
Obwohl Lore sich zunehmend über dieses Gerede ärgerte, hielt sie den Mund und bedeutete Nathalia, sich ebenfalls aller Widerworte zu enthalten.
»Oh, ich sage schon nichts«, flüsterte ihre Freundin mit einem Lächeln, das nur ein Fremder als freundlich bezeichnet hätte. »Ich bedauere lediglich, dass in den Betten wirklich keine Wanzen sind und ich auch nicht weiß, wo ich welche auftreiben könnte. Es wäre für die beiden Philippsteinerinnen und Graf Nehlens aufgeblasene Neffen gerade die richtige Strafe, eine Nacht in deren Gesellschaft zu verbringen.«
Die Tatsache, dass Nathalia auch über Leutnant Bukow herzog, hätte Lore beruhigen können, denn dieser war wahrlich kein Mann, den sie sich für ihre Freundin wünschte. Da sie Nathalia und deren fatale Vorliebe für unpassende Scherze kannte, war sie jedoch eher besorgt und hätte die Gäste am liebsten noch am selben Tag verabschiedet. Dazu aber war es bereits zu spät, denn sie hätten Nehlen erst in der Dunkelheit erreicht. Daher schärfte sie Nathalia ein, sich aller Bosheiten zu enthalten, die ihr durch den Kopf gehen mochten.
Nathalia seufzte. »Also gut! Dir zuliebe halte ich Waffenstillstand, obwohl Rodegard und ihre Gottlobine ein Regiment blutgieriger Wanzen verdient hätten, und die beiden Herren ebenfalls. Doch nun komm! Graf Nehlen will auch den Rest des Hauses besichtigen, und ich möchte doch hören, was unsere lieben Gäste dazu sagen. Irgendwann kommt ganz sicher die Gelegenheit, ihnen ihre Gemeinheiten zurückzuzahlen.«
Diesen Tag fürchtete Lore fast noch mehr als den heutigen, doch sie wusste, dass sie Nathalia nicht davon würde abhalten können, Rache zu üben. Im Grunde juckte es auch sie in den Fingern, es der impertinenten Rodegard zu zeigen. Doch dafür brauchte sie dringend Möbel, die dem Zeitgeist entsprachen, und vor allem einen vollständig ausgestatteten Ballsaal und eine Einrichtung für den großen Speisesaal, in dem mehr als ein halbes Hundert Gäste verköstigt werden konnten.
»Sehr bäuerlich«, kommentierte Rodegard von Philippstein eben die beiden Betten, die ihrer Tochter und ihr zugedacht waren.
»Wir sind ja auch auf dem Land, liebste Mama. Hier mag dieser Stil passen«, warf Gottlobine säuselnd ein.
»Ich liebe das Land«, antwortete ihre Mutter mit einem berechnenden Seitenblick auf Graf Nehlen, um sich dann erneut Lore zuzuwenden. »Vielleicht werden wir ja bald Nachbarinnen. Meine Gottlobine liebt Nehlen und wünscht sich nichts mehr, als dem Erben unseres lieben Verwandten ihre Hand reichen zu können.«
Kaum hatte sie es gesagt, stellten Gademer und Bukow sich neben dem Mädchen in Positur.
Graf Nehlen musterte beide und schüttelte unmerklich den Kopf. Gottlobine allein
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