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Juliregen

Juliregen

Titel: Juliregen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Platz.
    »Auf geht’s!«, sagte Fridolin fröhlich, als der Kutscher die Peitsche über den Köpfen der Pferde knallen ließ und diese antrabten.

X.
    D ie Reisegesellschaft erreichte glücklich den Lehrter Bahnhof und wurde dort von einem Schwarm Dienstmänner empfangen, die das Gepäck zum Zug brachten. Ein Kondukteur führte die Herrschaften, ein anderer Schaffner das Dienstpersonal zum jeweiligen Abteil, und kurz nachdem das Trinkgeld verteilt war, begann die Fahrt.
    Der Zug hatte Berlin kaum hinter sich gelassen, da hielt eine Droschke vor Lores und Fridolins Haus. Beim Anblick der stattlichen Villa, die einen das Dach überragenden Turmerker und große Fenster bis hinauf in die höchste Etage aufwies, verzog sich das Gesicht des Fahrgasts vor Neid.
    »Wie es aussieht, ist Onkel Fridolin noch reicher geworden«, murmelte Ottwald von Trettin. Dann aber sagte er sich, dass ihm dies nur recht sein konnte. Immerhin war er nach Berlin gekommen, um seinen Onkel zu melken. Je mehr Milch – oder besser gesagt: Markscheine – dabei im Eimer blieben, umso besser. Der Gutsherr auf Trettin hatte längst verdrängt, dass er von seinem Onkel in Unfrieden geschieden war. Fridolin trug denselben Familiennamen wie er und war damit in der Pflicht, ihn zu unterstützen.
    »Da wären wir!« Der Droschkenkutscher hatte Ottwald von Trettin als einfachen Landedelmann eingestuft und gab sich keine Mühe, höflich zu sein. Fahrgäste wie dieser beschwerten sich zumeist über den Fahrpreis und geizten mit Trinkgeld.
    So war es auch diesmal. Während der Kutscher knurrend die Münzen in die Tasche steckte, die Ottwald von Trettin ihm gegeben hatte, trat dieser auf den Eingang des Hauses zu, stieg die Treppe zum Portal hoch und schlug den Bronzeklopfer an. Den Klingelzug neben der Tür ignorierte er.
    Wie erwartet, öffnete ihm ein Diener und sah ihn fragend an. Bevor der Domestik auch nur ein Wort sagen konnte, schob der Gutsherr ihn beiseite und trat ein. »Ich will meinen Onkel sprechen!«
    Der Diener versuchte, eine unbewegte Miene beizubehalten. »Darf ich dies so verstehen, dass Sie mit Graf Trettin verwandt sind?«
    Graf Trettin! Das war ein weiterer Stich in Ottwalds von Neid vergiftete Seele. Er fand es empörend, dass er als Trettin auf Trettin nur einen Freiherrentitel trug, während sein verachtenswerter Onkel sich mit dem Rang eines Grafen schmücken konnte.
    »Fridolin von Trettin ist mein Onkel zweiten Grades und mein engster Verwandter. Ich bin Ottwald von Trettin, der Gutsherr auf Trettin und Oberhaupt der Familie«, stellte Ottwald sich hochmütig vor.
    »Ich bedauere, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Graf Trettin sich außer Haus befindet«, antwortete der Diener eingeschüchtert.
    »Ist wohl in der Bank, was? Wird schon noch kommen! Lassen Sie inzwischen meinen Koffer ins Haus bringen. Dieser elende Droschkenkutscher hat ihn einfach am Straßenrand abgestellt.«
    Damit brachte Ottwald von Trettin den Pförtner in arge Verlegenheit. Da er ebenso wie die restliche Dienerschaft im Haus nichts von der Feindschaft wusste, die zwischen dem Teil der Trettins in Ostpreußen und dem in Berlin herrschte, gab es keinen Grund, den Gast abzuweisen. Andererseits hatte er bislang nur dessen Wort, ein Verwandter seiner Herrschaft zu sein.
    »Wenn Sie bitte im kleinen Salon Platz nehmen würden. Ich werde inzwischen dem Majordomus Ihre Karte überbringen und Ihren Koffer versorgen lassen.«
    Ottwald von Trettin reichte dem Diener eine Visitenkarte. Der Name Trettin auf Trettin in Golddruck wirkte ein wenig protzig, passte aber zu dem ländlich gekleideten Besucher. Beinahe devot führte der Pförtner diesen in den kleinen Salon, der mit exquisiten Möbeln ausgestattet war, wie Malwine und Ottwald sie sich schon lange nicht mehr leisten konnten.
    Während ein Diener Ottwald ein Glas Wein brachte, zerfraß sich dieser vor Neid auf seine Verwandten. Von einer solchen Stadtresidenz vermochte er nur zu träumen, konnte er sich doch nicht einmal ein bescheidenes Haus in Königsberg leisten, geschweige denn eines hier in der Reichshauptstadt.
    Die gebetsmühlenhaft vorgetragenen Anschuldigungen seiner Mutter, Lores Großvater habe hohe Gelder vom Gut abgezogen und seiner Enkelin zukommen lassen, kamen ihm wieder in den Sinn. Obwohl er die Bücher mit eigenen Augen überprüft und für korrekt befunden hatte, packte dieser Verdacht ihn nun selbst. Das Eintreten des Majordomus beendete Ottwald von Trettins Grübeln.
    Der Mann verbeugte sich

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