Juliregen
kurz. »Herr von Trettin, ich bedaure, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Graf Trettin sich auf Reisen befindet und erst in etlichen Tagen zurückerwartet wird.«
Das war eine herbe Enttäuschung. Ottwald fing sich jedoch rasch wieder und sah den Majordomus über den Rand seines Weinglases an. »Dann werde ich hier auf meinen Onkel warten. Ich will die weite Fahrt von Ostpreußen hierher nicht gemacht haben, um unverrichteter Dinge wieder zurückzukehren. Lassen Sie meinen Koffer in eines der Gästezimmer bringen!«
Der Gutsherr war nicht bereit, Geld für ein Hotel auszugeben, das in Berlin noch um einiges teurer sein würde als in Königsberg, solange sein Verwandter eine so feudale Residenz besaß und überdies so ausgezeichnete Weine in seinem Keller hatte wie den, den er gerade genoss.
Johann Ferber, der sich selbst in jüngeren Jahren Jean genannt hatte, um vornehmer zu wirken, blickte noch einmal auf die Visitenkarte des Gastes und musterte dann diesen selbst. Auch wenn er nicht wusste, ob es zwischen den beiden Zweigen der Familie Trettin ein Zerwürfnis gab, so war ihm natürlich nicht entgangen, dass seine Herrschaft keinerlei Kontakt zu den Verwandten in Ostpreußen pflegte. Vor diesem Hintergrund kamen ihm Zweifel, ob dieser Besuch Graf Fridolin recht wäre. Andererseits konnte er einen Freiherrn von Trettin auf Trettin nicht wie einen lästigen Bittsteller vor die Tür setzen.
»Ich werde veranlassen, dass ein Zimmer für Sie bereitgestellt wird, Herr von Trettin!«, sagte er und wandte sich zur Tür.
Ottwald hielt ihn auf. »Veranlassen Sie auch, dass ich bald zu Mittag essen kann. Die Fahrt von Ostpreußen hierher war lang, und die Angebote der Bahnhofsrestaurationen entsprachen nicht unbedingt meinen Vorstellungen.«
»Das wird sofort geschehen.« Johann Ferber glaubte sich endlich entlassen, als Ottwald von Trettin noch etwas einfiel.
»Und lassen Sie nach dem Mittagessen einen Wagen für mich anspannen! Ich will Freunde besuchen.«
»Sehr wohl!« In Johann Ferbers Augen forderte dieser Gast mehr, als ihm zustand, und trat überdies auf, als wäre er der Hausherr persönlich. Doch solange Ottwald von Trettin nichts Unbilliges verlangte, durfte er sich nicht weigern, seine Wünsche zu erfüllen. Verunsichert verließ er den Salon, um der übrigen Dienerschaft die entsprechenden Befehle zu erteilen. Dabei überlegte er, ob er Graf Trettin telegrafieren sollte, dass sein Neffe eingetroffen war, ließ diesen Gedanken jedoch wieder fallen. Sein Herr hatte erklärt, er würde nicht lange ausbleiben, daher wollte er ihn nicht mit solchen Kleinigkeiten belästigen.
XI.
D as Essen war ebenso ausgezeichnet wie der Wein. Anstatt es zu genießen, ärgerte Ottwald von Trettin sich über den Luxus, in dem seine Verwandten lebten. Mehrfach schwor er sich, dafür zu sorgen, dass ein Teil dieses Reichtums in seine Taschen flösse.
Sein Unmut hinderte ihn nicht daran, kräftig zuzugreifen, und als Ferber meldete, der Landauer stände bereit, war er satt und angetrunken. Ohne dem Majordomus ein Wort der Anerkennung zukommen zu lassen, verließ er das Haus, stieg in den Wagen und nannte dem Kutscher eine Adresse.
Ottwald von Trettin saß so stolz in dem standesgemäßen Gefährt, als sei es sein eigenes, und ließ sich auf einigen Umwegen durch feudale Viertel und quer durch die Innenstadt bis zu einer ruhigen Straße mit altehrwürdigen Häusern kutschieren. Wer in Berlin auf sich hielt, wohnte zwar am Tiergarten oder gar am Grunewald, doch noch eine Generation zuvor hatten auch hier hochherrschaftliche Familien gelebt. Ein wenig von diesem Glanz haftete noch an den Gebäuden.
Der Kutscher hielt vor einem grauen Haus, das dringend getüncht hätte werden müssen, und fragte, ob er warten solle.
»Tu das!«, antwortete Ottwald von Trettin, obwohl er nicht die geringste Vorstellung hatte, wie lange sein Besuch dauern würde. Ohne ein weiteres Wort verließ er den Wagen und stieg die Freitreppe hoch. Dort fasste er den Klingelzug und zerrte kräftig daran.
Das Schellen der Glocke war so durchdringend, dass es ihm in den Ohren gellte. Trotzdem dauerte es geraume Zeit, bis die Tür geöffnet wurde und ein Dienstmädchen den Kopf herausstreckte. Sie fixierte den Gutsherrn mit kurzsichtigen Augen und schien nicht recht zu wissen, was sie von dem Besucher halten sollte.
»Ich will Frau Klampt sprechen oder deren Sohn Gerhard«, erklärte Ottwald von Trettin.
»Dann kommen Sie mal herein!«
Das Dienstmädchen,
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