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Juliregen

Juliregen

Titel: Juliregen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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das nach Ottwald von Trettins Einschätzung mindestens siebzig Jahre alt sein musste, trat beiseite und gab ihm den Weg in einen düsteren Flur frei. Während er kaum die Umrisse seiner direkten Umgebung erkennen konnte, schien die Alte Katzenaugen zu haben, denn sie stieg eine Treppe hoch, die er kaum wahrnahm.
    »He! Kannst du kein Licht machen?«, rief er hinter ihr her.
    Die Frau drehte sich verwundert zu ihm um. »Warum? Es ist doch noch heller Tag!«
    Zu Ottwald von Trettins Rettung war man im Haus auf ihn aufmerksam geworden. Oben auf der Treppe tauchte eine Frau auf, die einen vorsintflutlichen Leuchter mit drei Kerzen in der Hand hielt.
    »Sie wünschen, mein Herr?«, fragte sie.
    »Ich will zu Frau Klampt oder Herrn Klampt«, antwortete der Gutsherr in dem Glauben, einen weiteren Dienstboten vor sich zu sehen.
    »Ich bin Fräulein Klampt«, kam es spitz zurück.
    »Mein Name ist Ottwald von Trettin. Ich soll Ihrer Frau Mutter die Grüße meiner Mutter, der Freifrau Malwine von Trettin, überbringen.« Der Gutsherr deutete eine Verbeugung an und ging dann an der alten Dienerin vorbei nach oben.
    Armgard Klampt schnaubte kurz in deren Richtung und eilte dann voraus. »Wir freuen uns sehr über Ihren Besuch, Herr von Trettin. Das Leben ist ja so öde hier! Würde uns nicht die Armut zwingen, Zuflucht bei Friederike Fabarius, unserer engsten Verwandten, zu suchen, so wäre mir jeder andere Ort dieser Welt lieber, und wenn es drüben in Amerika wäre.«
    »Was wollen Sie denn mit den USA ? Dort läuft doch nur das arbeitsscheue Gesindel herum, das hier keiner mehr haben will«, antwortete Ottwald von Trettin in verächtlichem Tonfall.
    »Wie recht Sie haben!« Armgard Klampt seufzte tief, blieb vor einer Tür stehen und klopfte.
    Als ein »Herein!« ertönte, öffnete sie und ließ dem Gutsherrn den Vortritt.
    »Mama, du glaubst nicht, wer uns heute besuchen kommt«, rief sie ihrer Mutter zu, die breit und wuchtig auf einem Sessel thronte und ihnen neugierig entgegensah.
    »In besseren Zeiten wurden uns die Visitenkarten der Herren gereicht, die zu uns kamen. Doch jetzt sind wir nur noch Bettler, die für die Brosamen dankbar sein müssen, die von Tante Friederikes Tisch für uns abfallen«, antwortete Ermingarde Klampt ungehalten.
    »Ich bitte Sie, dieses Versäumnis zu verzeihen, doch mir erschien Methusalems Tante nicht die geeignete Person zu sein, mich bei Ihnen anzumelden. Sie sehen Ottwald von Trettin vor sich, den Sohn Ihrer lieben Freundin Malwine!«
    Da etwas mehr Licht durch die Fenster dieses Raumes fiel, verbeugte sich der Gutsherr mit einem Lächeln, als sähe er eine Dame von Stand vor sich und keine verarmte Bürgerliche.
    »Setzen Sie sich doch!«, forderte Ermingarde Klampt ihn auf und zeigte auf einen Stuhl in ihrer Nähe. Unterdessen holte Armgard eine Karaffe Wein und ein Glas und stellte beides auf den Tisch.
    »Bedauerlicherweise untersagt uns Großtante Friederike, ein eigenes Dienstmädchen zu halten, so dass wir ganz auf uns allein gestellt sind«, sagte sie in klagendem Ton.
    »So ist es«, stimmte ihre Mutter zu. »Das Schicksal meint es schlecht mit uns! Dabei hätte es alles ganz anders kommen können. Aber diese Lore Huppach – Ihre Mutter wird es Ihnen gewiss erzählt haben – hat mich meiner Großnichte, der Komtess Retzmann, entfremdet, so dass wir nun unter so unwürdigen Umständen leben müssen. Dabei hatte ich dieses üble Mädchen nach jenem schrecklichen Schiffsunglück im Dezember 1875 aus Gnade und Barmherzigkeit in mein Haus aufgenommen! Leider ist mir zu spät aufgegangen, welche Schlange ich da an meinem Busen genährt habe. Ihre Frau Mama hat ähnlich Schlimmes mit dieser entsetzlichen Person erlebt. Ich sage Ihnen, die Welt ist ungerecht! Haben Sie den Palast gesehen, den sich der Ehemann dieses Weibsbilds am Rande des Tiergartens hat errichten lassen?«
    Ermingarde Klampt redete wie ein Wasserfall. Das meiste von dem, was sie erzählte, kannte Ottwald von Trettin bereits von seiner Mutter. Von ihr wusste er auch, dass die Klampts Bremen ihrer wegen Schulden hatten verlassen müssen und bei Friederike Fabarius untergekommen waren, der einzigen Verwandten, die bereit und in der Lage gewesen war, sich ihrer anzunehmen. Die alte Dame mochte zwar exzentrisch sein, doch hungern mussten die Klampts bei ihr nicht. Der Wein, den Armgard ihm kredenzte, war von guter Qualität, und die Kleidung der Damen sah zwar nicht übertrieben modisch aus, war aber von einer

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