Juliregen
sein Brummen als Schinken und legte zwei Scheiben darauf. »Lass es dir schmecken!«
Als hätten ihre Worte einen Impuls in Fridolins Gehirn ausgelöst, tastete dieser nach der Kaffeetasse und trank einen Schluck. Danach nahm er das erste halbe Brötchen und begann zu essen, ohne von seiner Zeitung aufzusehen.
»Was gibt es denn so Interessantes zu lesen, mein Brummbär?« Endlich senkte er die Zeitung und sah sie an. »Ein gewisser Emil Berliner, trotz seines Namens ein Amerikaner, hat letztens ein von ihm erfundenes Gerät vorgeführt, das er Grammophon nennt. Es soll angeblich ebenso Musik erzeugen können wie eine Kapelle.«
»Was es nicht alles gibt!«, rief Lore verwundert aus.
»Das hier könnte dich auch interessieren. Die Schriftstellerin Eugenie Marlitt ist gestorben. Du hast doch ein paar ihrer Romane gelesen.« Fridolin war nicht anzumerken, ob er diese Literatur für lesenswert hielt oder nicht. Wie die Werke etlicher anderer Schriftsteller und Schriftstellerinnen zählten auch Eugenie Marlitts Romane zu jenen, die von der kulturbeflissenen Oberschicht im besten Fall ignoriert, zumeist aber verachtet wurden. In Kreisen des Kleinbürgertums und der Dienstmädchen erfreuten sie sich jedoch großer Beliebtheit.
Lore hatte vor einigen Jahren einen von Marlitts Romanen bei ihrer Zofe Nele entdeckt und eigentlich nur ein wenig darin blättern wollen. Die Geschichte hatte sie jedoch rasch gefesselt, und so hatte sie Nele Geld zugesteckt, damit diese weitere Romane dieser Autorin besorgen konnte, und sie als Erste gelesen.
Nun bedauerte sie den Tod dieser Frau und bemerkte dann verblüfft, dass sie nicht das Geringste von ihr wusste. »Schade, ich hätte Eugenie Marlitt gerne kennengelernt. Sie schreibt so lebendig, was man von den Autoren, die en vogue sind, nicht unbedingt behaupten kann.«
»Sag das bloß nicht in der Öffentlichkeit. Man wäre entsetzt«, antwortete Fridolin mit einem Schmunzeln.
»Gut, dass du Frau Marlitt erwähnt hast. Ich muss mir unbedingt noch etwas zu lesen einpacken. Immerhin schickst du die Kinder und mich zwei Wochen länger in Urlaub als geplant!«
Es ist fast wie ein Ritual, das sich jeden Morgen wiederholt, dachte Lore. Zuerst las Fridolin schweigend die Zeitung, aber irgendwann brauchte er jemand, mit dem er über die Themen reden konnte, und das war sie.
»Ich habe leider kaum Zeit zu lesen!« Fridolin klang betrübt, ließ sich aber nicht seinen Appetit verderben, sondern aß das zweite halbe Brötchen auf.
Da stürmte Nathalia wie ein Wirbelwind herein und setzte sich. »Guten Morgen!«, rief sie, während sie zur Teekanne griff, um ihre Tasse zu füllen. Anders als Fridolin und Lore zog sie dieses Getränk dem Kaffee vor. Daher hatte Lore sich angewöhnt, ihr immer eine Kanne aufschütten zu lassen. Gelegentlich trank auch sie mit, vor allem, wenn sie unter sich waren oder bei ihrer Freundin Mary speisten.
Ein Brötchen wanderte auf Nathalias Teller. Sie bestrich es dick mit Butter und belegte es mit dem Käse, den Fridolin verschmäht hatte.
Nach dem ersten Bissen sah sie Lore neugierig an. »So, und jetzt erzähl mir, was los ist! Jutta – ich meine Frau Knoppke – klang ganz so, als würde heute noch der halbe Haushalt umziehen.«
»Der halbe Haushalt nicht, aber wir beide, Wolfi, Doro, unsere Zofen und das Kindermädchen«, erklärte Lore.
»Und wohin geht es?«, fragte Nathalia verblüfft.
»Auf dein Gut! Fridolin muss dort in der Nähe etwas erledigen und bringt uns deshalb hin. Ich hoffe, es ist dir so recht!« Lore war etwas unwohl, weil ihr Mann und sie diese Entscheidung getroffen hatten, ohne Nathalia zu fragen.
Diese kaute genüsslich ihr Käsebrötchen, bevor sie Antwort gab. »Also, ich habe nichts dagegen. Leutnant von Bukow will nämlich bereits nächste Woche zu seinem Onkel nach Nehlen reisen, und dann können wir ihn da schon besuchen.«
Nathalias Bemerkung hätte Lore beinahe dazu gebracht, die geplante Reise abzusagen. Da sie ihren Schützling kannte, wusste sie jedoch, dass Nati notfalls auf eigene Faust losfahren würde, um den Leutnant zu treffen. Aus diesem Grund tat sie so, als wäre dieser Besuch für sie nebensächlich.
»Natürlich können wir das! Allerdings erfordert die Höflichkeit, einen Boten zu Graf Nehlen zu schicken und anzufragen, ob unser Besuch auch erwünscht ist.«
»Bukow sagt, sein Großonkel frisst ihm aus der Hand. Der alte Herr ermöglicht es ihm, in Berlin stationiert zu bleiben, obwohl die Ausgaben
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