Juliregen
solle Sie zu ihr nach Hause bringen«, wandte Hede ein. Dann wurde ihre Miene hart. »Ich habe eine Bitte an Sie, Herr Maruhn. Nachdem in meinen vier Wänden Dinge geschehen sind, die ich niemals geduldet hätte, fühle ich mich hier nicht mehr sicher. Könnten Sie mir Ihre Pistole für ein paar Tage überlassen und mir sagen, wie sie zu handhaben ist?«
Maruhn wollte schon den Kopf schütteln, sagte sich dann aber, dass die Puffmutter einen guten Grund für ihre Bitte haben musste. Immerhin hatte jemand die Frauen hierhergebracht, und das konnte seiner Ansicht nach nur ihr Ehemann gewesen sein.
»Sollte ich nicht besser hierbleiben?«, fragte er.
Hede schüttelte vehement den Kopf. »Nein, vielen Dank! Wenn ich Hilfe brauche, habe ich Anton. Auf ihn kann ich mich hundertprozentig verlassen. Außerdem können Sie Frau Simmern nicht zumuten, mitten in der Nacht in einer fremden Stadt allein den Weg zu suchen.«
»Das ist wahr!« Mit einer resignierenden Geste reichte Maruhn Hede die Waffe und zeigte ihr, wie diese abzufeuern war.
Dann wandte er sich an Dorothea: »Wenn Sie so weit sind, könnten wir aufbrechen.«
»Danke!« Dorothea reichte ihm den Arm und ging mit ihm zur Tür.
Unterdessen steckte Hede die Waffe so in ihr Kleid, dass sie nicht zu sehen war. »Warten Sie auf mich! Ich führe Sie durch die Hinterhöfe ins Freie und sehe zu, dass Sie eine Droschke bekommen.«
»Das übernehme ich, Madame!«, warf Anton ein, der eben zurückgekommen war. Er verneigte sich vor Dorothea und bat sie und Maruhn, ihm zu folgen.
Hede sah ihnen mit einem bitteren Gefühl nach. Lore und ihre Freundin würden nach den Schrecken dieses Tages wieder in ihr normales Leben zurückkehren können. Sie hingegen stand vor den Scherben ihrer Existenz. Um nicht vollends in Verzweiflung zu verfallen, stieg sie in ihre Wohnung hoch und betrat das Schlafzimmer ihres Sohnes. Ein Lichtschein fiel auf sein Gesicht, und er gab einen Laut des Unmuts von sich. Sofort schloss Hede die Tür und blickte auf ihn herab. Alles, was jetzt folgt, tue ich nur für mein Kind, sagte sie sich, beugte sich über Fritz und küsste ihn auf die Wange.
Dann verließ sie die Wohnung und begab sich in ihr Bordell. Sie grüßte einige Stammgäste, schalt ein Mädchen, das sich in die Küche zurückgezogen hatte und dort ein Glas Wein trank, und sah anschließend zu, wie Rendlinger und Grünfelder ins Haus kamen und sofort auf Hilma und Dela zusteuerten. Diese begrüßten die Herren fröhlich und verschwanden kurz danach mit ihnen in zwei der besseren Séparées.
Hier geht alles seinen Gang, als wäre nichts geschehen, dachte Hede. Sie spürte jedoch deutlich, dass es ihr keine Freude mehr machte, dieses Haus zu führen. Vielleicht hätte es anders kommen können, wenn sie nicht auf Manfred Laabs hereingefallen wäre. Seufzend verließ sie das Erdgeschoss und setzte sich im ersten Stock auf die Ottomane, auf der Nathalia nackt fotografiert worden war. Während sie die Pistole in die Hand nahm, sagte sie sich, dass ihr nichts anderes übrigblieb, als hier zu warten, bis ihr Mann zurückkehrte.
VIII.
O ttwald von Trettin und seine Begleitung erreichten den Schlesischen Bahnhof ohne Zwischenfall. Um keinerlei Aufsehen zu erregen, wies er Laabs an, Nathalia zu tragen. Seine Mutter musste ihr die Hand halten und so tun, als rede sie beruhigend auf die junge Frau ein. Er selbst schritt hinter den beiden her bis zum Waggon erster Klasse und winkte dort den Kondukteur zu sich.
»Meiner Verlobten geht es nicht gut. Migräne, verstehen Sie? Ich hoffe, es wird während der Bahnfahrt nicht noch schlimmer. Sorgen Sie bitte dafür, dass unser Gepäck eingeladen wird, und besorgen Sie mir nach Möglichkeit eine Flasche Kölnisch Wasser. Außerdem wollen wir in unserem Abteil bis zur Ankunft in Heiligenbeil nicht gestört werden.« Bei diesen Worten zückte er die Fahrkarte, ließ den Schaffner einen Blick darauf werfen und stieg ein.
Laabs folgte ihm mit Nathalia auf den Armen. Es war nicht leicht, die junge Dame durch die engen Gänge des Waggons zu tragen, und so war er froh, als sie das Abteil erreicht hatten, in dem Ottwald von Trettin sämtliche Plätze hatte reservieren lassen.
»Legen Sie die Komtess dorthin«, befahl Trettin und wies auf den Fensterplatz.
Laabs gehorchte und sah ihn grinsend an. »Man sollte nicht glauben, dass eine so kleine Person so schwer sein kann!«
»Sie können gehen!«, beschied ihm Ottwald von Trettin.
Als Laabs aufbegehren
Weitere Kostenlose Bücher