Juliregen
Brand zu löschen, lebte auch Friederike Fabarius nicht mehr. Deren Großnichte Philomena wurde schwerverletzt geborgen und hatte zeit ihres Lebens an den Folgen des Unglücks zu leiden. Aber da die alte Dame sie zu ihrer Universalerbin ernannt hatte, musste sie wenigstens keine materielle Not leiden.
Ottwald von Trettin, der die Gaslampen in Klampts Wohnung manipuliert und das betäubende Gift in die angebrochenen Weinflaschen gekippt hatte, die von dem kleinen Umtrunk übrig geblieben waren, saß im Augenblick der Explosion in seinem Abteil und wartete darauf, dass der Zug endlich abfuhr.
X.
A nton hatte Lore und Jürgen auf dem schnellsten Weg zur Hauptstraße geführt und dort Maruhns Droschke vorgefunden. »Los, fahren Sie!«, rief Lore dem Kutscher zu. »Wenn wir den Schlesischen Bahnhof erreichen, bevor der Nachtzug nach Königsberg losgefahren ist, erhalten Sie fünf Mark extra.«
»Fünf Mark?« Das war eine Menge, doch der Kutscher wollte keinesfalls auf das Geld verzichten, das Maruhn ihm schuldig war. »Wo ist der Herr, den ich bisher gefahren habe?«
»Er hat noch zu tun und uns aufgetragen, den Fahrpreis für ihn auszulegen. Und jetzt fahren Sie endlich!«
Der Kutscher nahm die Zügel in die Hand, löste die Bremse und trieb seine Gäule an. Die waren zwar nicht die schnellsten, aber ausdauernd und hatten die langen Fahrten an diesem Tag gut überstanden. Außerdem kannte ihr Herr sich in dieser Ecke der Stadt aus und fand den Weg, ohne seine Fahrgäste um Rat fragen zu müssen.
Da um die Zeit nur noch wenige Fahrzeuge unterwegs waren, kamen sie gut voran und hielten nach kurzer Zeit vor dem Schlesischen Bahnhof. Lore hatte bereits das Geld gezückt.
»Behalten Sie den Rest«, rief sie dem Kutscher zu, als dieser herausgeben wollte, und ließ sich von Jürgen aus dem Wagen helfen. Beide eilten in den Bahnhof. Als sie den Bahnsteig erreichten, sahen sie den Zug nach Königsberg noch auf dem Gleis stehen. Ein Bahnbeamter gab jedoch gerade das Zeichen zur Abfahrt und wollte zurücktreten.
Da schoss Lore wie ein Raubvogel auf ihn zu. »Ich bin Gräfin Trettin und muss unbedingt noch in diesen Zug!«
Ihr Auftreten und ihr elegantes Kleid überzeugten den Mann, keine Hochstaplerin vor sich zu haben. Dennoch hob er bedauernd die Hand. »Leider kommen Sie zu spät. Der Zug ist bereits abgefertigt.«
Jürgen war weitergerannt und auf die Plattform des letzten Wagens gestiegen. Nun winkte er heftig. »Kommen Sie, Frau Gräfin, ich helfe Ihnen herauf. Aber beeilen Sie sich, der Zug fährt gleich los!«
Als hätte der Lokführer es gehört, betätigte er die Dampfpfeife. Ein paar Augenblicke drehten die Räder auf den eisernen Schienen durch, dann nahm die Lokomotive Fahrt auf.
Lore rannte so schnell wie noch nie in ihrem Leben und streckte die Hand aus, damit Jürgen sie ergreifen und ihr auf die Plattform helfen konnte. Für einige Augenblicke hing sie in der Luft, dann aber hatte er sie hinaufgezogen, und sie konnte sich am Geländer der Plattform festhalten.
»Das hätten wir geschafft. Jetzt müssen wir nur noch Nati finden«, erklärte Lore energisch und rüttelte an der Tür.
Diese war von innen versperrt, doch einer der Schaffner wurde auf sie aufmerksam und schloss auf. »Wissen Sie nicht, dass es strengstens verboten ist, auf einen Zug aufzuspringen, wenn dieser bereits abgefertigt ist?«, schalt er die beiden.
»Ich bin Gräfin Trettin und muss mit diesem Eisenbahnzug fahren!« Lore ließ sich auf keine Diskussionen ein, sondern trat in den Gang des Waggons und winkte Jürgen, ihr zu folgen. Erst als sie im Wageninnern standen, wandte sie sich an den Schaffner. »In welchem Abteil finde ich meinen Neffen, den Freiherrn Ottwald von Trettin, und dessen Mutter, Freifrau Malwine?«
Der Schaffner hatte gerade das verlangte Kölnisch Wasser in Ottwalds Abteil gebracht und war von diesem noch einmal mit barschen Worten aufgefordert worden, während der Reise jede Störung von ihnen fernzuhalten. Wie es aussah, gab es für diese Forderung einen gewichtigen Grund. Darauf deutete das unerwartete Auftauchen seiner Verwandten ohne Gepäck und Fahrschein hin. Nun überlegte der gute Mann, wie er sich aus der Affäre ziehen konnte. In einen Familienstreit wollte er wahrlich nicht hineingezogen werden.
»Ich bedauere, darüber kann ich Ihnen keine Auskunft erteilen«, sagte er schließlich zu Lore.
»Aber Freiherr von Trettin befindet sich hier im Zug?«, bohrte Lore weiter.
»Es tut mir leid, ich
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