Juliregen
Obwohl er als Ehemann nach Recht und Gesetz ihr Herr und Gebieter war, musste er um jeden Groschen betteln.
»Ich werde bald Geld bekommen. Aber das dauert noch etwas. Bis dorthin kann ich nicht ohne ein paar Mark aus dem Haus gehen. Das musst du einsehen!«
»Ich habe dir erst letztens Geld gegeben, nachdem du mir einige Ohrfeigen versetzt hast. Das würdest du doch jetzt auch wieder tun, wenn ich dir nichts geben wollte, nicht wahr?«
In Hedes Stimme schwang abgrundtiefe Enttäuschung mit. Dabei, sagte sie sich, war sie selbst schuld. Niemand hatte sie gezwungen, Manfred Laabs zu heiraten. Doch ihr Wunsch nach einem Kind war einfach übermächtig geworden, und da sie dieses nicht der Schande einer unehelichen Geburt hatte aussetzen wollen, war ihr nur die Heirat geblieben. Vielleicht hätte sie Manfred länger beobachten sollen, bevor sie auf sein Werben eingegangen war. Doch für Selbstvorwürfe war es nun zu spät.
Ohne seine Antwort abzuwarten, erhob sie sich und trat an die Wand. Dort nahm sie ein Bild ab, das im Gegensatz zu einigen Gemälden im Empfangssalon und in besonders ausgestatteten Séparées keine erotischen Szene zeigte, und zog einen Schlüssel unter ihrem Kleid hervor, der an einem goldenen Kettchen an ihrem Hals hing. Damit schloss sie den kleinen Wandsafe auf, der hinter dem Bild zum Vorschein gekommen war, und holte mehrere Geldscheine heraus.
Manfred Laabs fielen fast die Augen aus dem Kopf, als er die dicken Bündel Banknoten sah, und er erlag beinahe der Versuchung, hineinzugreifen und wenigstens die Hälfte davon an sich zu nehmen.
»Weißt du, dass du mich sehr schlecht behandelst?«, maulte er.
»Wieso? Weder schlage ich dich, noch verlange ich von dir, dass du dir eine Arbeit suchst und Geld verdienst!« Hede klang bitter. Immerhin hatte Manfred vor ihrer Ehe so getan, als besäße er genug Geld, um sich in Berlin eine Bierschenke einrichten zu können. Doch mit der angeblichen Höhe seines Vermögens hatte er sie genauso betrogen wie in anderen Dingen. Nun lebte er wie eine Made in ihrem Speck, und sie musste froh sein, dass er gelegentlich bei den Pferdewetten gewann. Sonst würde er noch mehr Geld von ihr fordern.
Manfred Laabs schien ihre Gedanken zu erraten, denn er zeigte naserümpfend auf die Geldscheine, die sie ihm hinhielt. »Das ist aber wenig!«
Seufzend langte sie noch einmal in den Geldschrank und zählte ihm fünfhundert Mark ab. »Das muss für diesen und den nächsten Monat reichen!«
»Oh Himmel, welch ein Schicksal! Ich bin zum Almosenempfänger meiner Frau abgesunken«, rief Laabs theatralisch aus.
»Ich würde eher sagen: zum Kostgänger. Von zehn Mark, die du ausgibst, verdienst du selbst weniger als drei.« Seufzend reichte Hede ihm noch einen letzten Schein, dann schloss sie den Safe wieder zu, steckte den Schlüssel in ihr Dekolleté und hängte das Bild wieder auf.
Laabs überlegte, wie er an diesen Schlüssel kommen konnte. Natürlich konnte er Hede verprügeln, bis sie ihn hergab, aber wie er sie kannte, würde sie anschließend jeden Groschen, den sie besaß, vor ihm in Sicherheit bringen. Am besten erschien es ihm, zärtlich zu ihr zu sein und ihr, wenn sie eingeschlafen war, die Kette über den Kopf zu ziehen, hierherzukommen und einen Teil der Scheine an sich zu nehmen.
Ohne daran zu denken, dass ihr ein solcher Diebstahl auffallen würde, sobald ihr Rechnungsbuch nicht mehr stimmte, beugte er sich über sie und küsste sie in den Nacken. »Du bist eine wunderbare Frau!«
Da war wieder der Charme, dem sie vor ihrer Heirat verfallen war, dachte Hede traurig. Doch der war nur eine Maske, die ihr Mann nach Belieben aufsetzte. Andererseits hatte er sie bisher nur ein einziges Mal heftiger geschlagen und sich für kurze Zeit sogar bemüht, ihrem gemeinsamen Sohn ein guter Vater zu sein.
Der Gedanke an den Jungen ließ sie weicher werden, und sie lehnte sich einen Augenblick gegen ihn. »Du musst verstehen, dass ich dir nicht mehr Geld geben kann. Es kommen immer wieder unerwartete Ausgaben auf mich zu, wenn ein Mädchen krank wird und nicht mehr arbeiten kann oder wenn eines der Séparées oder gar der Salon renoviert werden müssen. Außerdem will ich eine gewisse Summe vorrätig halten, um einige Herren an entscheidender Stelle zu schmieren, damit uns die Sittenpolizei nicht auf die Pelle rückt.«
»Aber das weiß ich doch, meine Liebe«, antwortete Laabs und verfluchte innerlich all diejenigen, die Geld von seiner Frau forderten und ihn
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