Juliregen
im letzten Jahr zusammen mit Nathalia auf Steenbrook verbracht, und Fridolin war ebenfalls schon hier gewesen. Zudem sprachen beide nicht das abgehackt und überheblich klingende Deutsch der Offiziere, die in den umliegenden Garnisonen das Kommando führten.
Der Inspektor und die Wirtschafterin begrüßten die Gäste ihrer Herrin mit der Ehrerbietung, die Angehörigen des Adels zukam. Während Nathalia die Reihe ihrer Untergebenen abschritt und auf die gebeugten Rücken der Männer und die Schöpfe der knicksenden Mägde niederschaute, atmete Lore genießerisch durch. »Man mag in der Stadt bequemer leben, doch es geht nichts über einen Aufenthalt auf dem Land«, sagte sie zu Fridolin.
Obwohl er eigenen Gedanken nachhing, nickte er. »Es ist wirklich schön hier. Ich bedaure, dass ich dir so etwas nicht schon früher habe bieten können.«
Lore war klar, dass er weniger den Aufenthalt auf Steenbrook meinte, das sie bereits von Bremen aus gelegentlich aufgesucht hatten, als vielmehr jenes Rittergut, das seit zwei Tagen ihrer beider Gedanken beherrschte.
»Die letzten Jahre waren auch schön. Immerhin waren wir einige Male in der Schweiz, einmal sogar in Österreich und mehrmals an der Ostsee. Solche Reisen will ich auch in Zukunft unternehmen, aber die Ferien selbst sollten wir auf dem Land verbringen.« Und zwar auf unserem eigenen Besitz, setzte sie im Stillen hinzu.
»Ihr könnt jederzeit hierherkommen«, bot Nathalia an, die das Begrüßungsritual hinter sich gebracht und sich wieder zu ihnen gesellt hatte.
»Das weiß ich doch«, sagte Lore lächelnd.
Natürlich würde sie Nathalia so oft wie möglich hier besuchen, doch es war etwas anderes, etwas Eigenes zu besitzen. Auf Steenbrook würde sie immer nur Gast sein, zwar stets willkommen, aber eben nur eine Fremde.
Fridolin schien ebenso zu denken, denn er sonderte sich mit dem Gutsverwalter ab und verwickelte den erfahrenen Mann in ein intensives Gespräch. Lore hätte sich gerne eingeklinkt, war ihr doch klar, dass es um Klingenfeld ging, aber sie wollte Nathalia nicht einfach stehen lassen.
Inzwischen hatte die Wirtschafterin die Mägde wieder an die Arbeit geschickt und trat auf Lore und die Komtess zu. »Gewiss werden die Damen nach der langen Fahrt hungrig sein. Daher haben wir einen kleinen Imbiss hergerichtet. Soll ich im Speisezimmer oder auf der Terrasse decken lassen?«
Nathalia sah Lore kurz an und entschied für sie beide. »Wir nehmen die Terrasse! Von dort aus haben wir einen schönen Blick auf den Park und auf die Felder. Bist du damit einverstanden, Lore?«
Ihre Freundin nickte. »Ich würde mich freuen, dort zu speisen. Vorher sollten wir uns aber umziehen und ein wenig frisch machen.«
»Es ist alles vorbereitet«, erklärte die Wirtschafterin und wies eine Magd an, die beiden Damen zu führen. Eine zweite erhielt von ihr den Auftrag, das Kindermädchen bei Wolfis und Doros Betreuung zu unterstützen.
»Wir haben für die Kinder das Zimmer neben dem Ihren vorgesehen, Frau Gräfin. Es ist Ihnen hoffentlich so recht?«
»Aber ja! So haben wir die Kleinen gleich bei uns. Ich habe Wolfi nämlich versprochen, dass wir ganz stramm marschieren werden. In Berlin geht das nicht. Auf den Straßen ist zu viel Verkehr, auf den Trottoirs laufen Passanten dicht an dicht herum, und in den Parks reiten die Leute aus oder flanieren. Für einen Vierjährigen, der seine Kräfte erproben will, bleibt da kaum Platz.«
Lore winkte lächelnd ihren Sohn zu sich. Der zeigte sogleich auf das Stalldach, das hinter den Bäumen zu erkennen war. »Ich will die Kühe sehen!«
»Später, mein Schatz! Erst einmal wirst du mit Fräulein Agathe auf euer Zimmer gehen, dich umziehen und waschen. Dann essen wir etwas, und wenn du brav bist, darfst du mit am Tisch sitzen.«
»Doro auch sitzen!«, klang die fordernde Stimme seiner Schwester auf.
In der Stadt wäre das unmöglich gewesen, doch hier auf dem Land wollte Lore ihre Kinder um sich haben und nickte daher. »Fräulein Agathe wird euch auf die Terrasse bringen. Aber nun husch ins Haus, damit ihr hinterher auch sauber seid. Schmutzige Kinder dürfen nämlich nicht mit den Erwachsenen essen.«
Nach dieser Aufforderung ließen sich die beiden Kleinen ohne Widerspruch von Agathe und deren neuer Helferin Tinke auf ihr Zimmer bringen.
Lore sah sich auf der Freitreppe noch einmal um und nahm das Bild der sommerlichen Landschaft in sich auf.
»Freust du dich?«, hörte sie Nathalia sagen.
»Ja, sehr!« Tief
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