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Juliregen

Juliregen

Titel: Juliregen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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verbeugte.
    Nathalia machte die beiden miteinander bekannt. »Darf ich vorstellen, Gräfin Trettin – Jürgen Göde!«
    Dabei musste sie ihre Heiterkeit im Zaum halten, denn ihr Gast hatte die Gelegenheit benützt, sich in seinem Koffer zu bedienen und umzuziehen. Doch das Hemd mit dem hohen Kragen und der blauen Seidenfliege, durch die er kaum den Kopf drehen konnte, den kurzen, zweireihigen Rock mit dem abgesetzten Kragen und die engen hellen Hosen hätte man vielleicht bei einem älteren Herrn mit einer gewissen Nachsicht toleriert, doch für einen jungen Mann war die Kleidung unmöglich.
    Auch Lore hätte beinahe den Kopf geschüttelt. Jürgen Göde würde gegen Leutnant von Bukow keine Chance haben. Sie ließ sich jedoch nichts anmerken, sondern begrüßte den Gast höflich.
    Jürgen Göde lächelte unsicher, entdeckte dann ihre Skizzen auf dem Tisch und beugte sich interessiert vor. »Das sind sehr schöne Zeichnungen und so elegante Garderoben! Die haben Sie sich gewiss aus Berlin schicken lassen.«
    Nathalia schüttelte lächelnd den Kopf. »Diese Skizzen hat Lore … – ich meine Gräfin Trettin – selbst erstellt.«
    »Oh, verzeihen Sie! Sie verfügen über ein ganz großes Talent!«, beeilte Jürgen sich zu sagen.
    »Zeichnen Sie auch?«, fragte Nathalia prompt.
    »Selbstverständlich! Es gehört zu den Grundlagen eines Altertumsforschers, entdeckte Artefakte genauestens zu skizzieren. Auf meinen Wanderungen während der Ferien habe ich auch Burgen, romantische Bauwerke und Landschaften gezeichnet. Bedauerlicherweise habe ich meine Skizzen zu Hause gelassen, sonst würde ich sie Ihnen gerne zeigen.«
    In einem spontanen Entschluss schob Nathalia ihm Lores Skizzenblock und die Stifte hin. Ihr überhebliches Lächeln erlosch jedoch, als sie sah, wie Jürgen mit geschickten Strichen sie selbst porträtierte – und zwar in dem modischen Kostüm, das Lore auf dem obersten Blatt ihres Stapels liegen hatte.
    Unterdessen brachte ein Dienstmädchen ein Tablett mit Schinken, Käse, Wurst und Brot sowie einen Krug Bier für den Gast. Doch weder Nathalia noch Lore achteten darauf. Als Jürgens Zeichnung immer mehr Gestalt annahm, starrte Nathalia ihre Freundin verdattert an. »Das bin ja wirklich ich!«
    Lore nickte nachdenklich. »Du bist auf diesem Bild ausgezeichnet getroffen. Außerdem scheint das Kleid wie für dich gemacht zu sein.«
    Im Stillen fügte sie hinzu, dass der junge Mann auch das Gesicht Nathalias und vor allem dessen Ausdruck meisterlich wiedergegeben hatte. Auf dem Bild wirkte ihre Freundin stolz und ein wenig herrisch, aber auch liebreizend und schön.
    »Ausgezeichnet!«, rief sie begeistert. »Herr Göde, am liebsten würde ich Sie bitten, einiges für mi… meine Freundin Mary Penn zu malen. Sie besitzt in Berlin einen Modesalon. Mit solchen Bildern könnte sie ihren Kundinnen am besten zeigen, wie ihre Kleider wirken.«
    Beinahe hätte sie sich als Atelierbesitzerin offenbart, doch noch immer galt die Verabredung, dass Mary nach außen hin als alleinige Chefin des Modeateliers auftrat. Sie selbst spielte in der besseren Gesellschaft nur die großzügige Mäzenin, die es ihrer Schneiderin erst ermöglicht hatte, ihr Talent zu entfalten.
    Jürgen hatte den kleinen Beinahe-Fauxpas nicht bemerkt, sondern stellte seine Zeichnung fertig und begutachtete sie nun selbst. »Nun, es ist ganz ordentlich. Aber so richtig habe ich die gnädige Komtess nicht getroffen. Sie ist weitaus schöner, als die Stifte es zeigen können.«
    »Sie sind ja direkt ein Charmeur«, lachte Nathalia geschmeichelt. »Aber nun müssen Sie meine Freundin ebenfalls zeichnen, und zwar in …«, sie blätterte Lores Skizzen durch, bis sie auf ein blaues Abendkleid stieß, »… in dieser Robe!«
    »Vorher solltet der Herr und du etwas essen. Außerdem werden die Getränke warm«, wandte Lore ein.
    »Wo du recht hast, hast du recht«, antwortete Nathalia und griff nach der ersten Scheibe Brot.
    Jürgen vermochte sich nicht vom Zeichenblock loszureißen und hörte erst auf, als Lores Porträt fertig war. Mit einer unsicheren Geste legte er den Block auf den Tisch. Zwar hatte er früher auch seine Schwestern und seine Mutter gezeichnet, aber dafür meist nur harsche Kritik zu hören bekommen. Daher wartete er jetzt angespannt auf das Urteil.
    Lore starrte das Bild an und fragte Nathalia: »Sehe ich wirklich so schön aus?«
    Ihre Freundin nahm das Bild und hielt es neben sie. »Doch, ich finde schon. Herr Göde hat uns

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