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Juliregen

Juliregen

Titel: Juliregen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Sie, wenn am Zielbahnhof kein Wagen auf sie wartet, noch einmal mehrere Kilometer Fußmarsch vor sich.«
    Jürgen Göde überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf. »Zurückgehen will ich nicht mehr. Vielleicht treffe ich unterwegs auf ein Fuhrwerk, das mich mitnimmt.«
    »Das fährt zumeist nur bis zum nächsten Gut, und damit sparen Sie vielleicht einen oder zwei Kilometer. Nehlen ist dafür zu weit weg.« Nathalia kniff die Augen zusammen und musterte Jürgen Göde genauer. Unsympathisch wirkte der junge Mann nicht, eher hilflos und von dem Marsch durch die Hitze erschöpft.
    Unwillkürlich empfand sie Mitleid mit ihm und deutete auf seinen Koffer. »Helfen Sie mir vom Pferd. Wir werden das Monstrum, das Sie mit sich schleppen, auf den Sattel schnallen und zu Fuß weitergehen. Sonst brechen Sie mir noch unterwegs zusammen.«
    »Aber ich … Das …«, stotterte Jürgen Göde.
    »Sind Sie vielleicht zu stolz, sich helfen zu lassen?«, fragte Nathalia scharf.
    »Nein, das nicht, aber Sie können doch nicht …«
    »Was ich kann und was nicht, entscheide immer noch ich selbst!« Für den Augenblick fühlte Nathalia sich wie eine jener englischen Suffragetten, die sie so bewunderte. »Ich bin übrigens Komtess Nathalia von Retzmann. Mein Gut liegt etwas seitlich der Hauptstraße in Richtung der nächsten Bahnstation. Ich glaube, es ist das Beste, wenn wir dorthin gehen. Sie können sich auf Steenbrook ein wenig ausruhen und anschließend Ihren Weg fortsetzen.«
    Während Jürgen Göde nicht so recht wusste, wie er sich zu diesem Vorschlag stellen sollte, ließ Nathalia keinen Zweifel daran, dass es nach ihrem Willen zu geschehen hatte. Der junge Mann war augenscheinlich modisch nicht gerade auf der Höhe, doch die Kleidung und deren Verarbeitung waren von guter Qualität. Er glich einem mittleren Beamten oder dem höherrangigen Angestellten eines ländlichen Geschäftsmannes.
    Ein Verdacht keimte in ihr, und sie stellte sich Jürgen neben Adolar von Bukow vor. Natürlich konnte er Letzterem nicht das Wasser reichen, denn der Leutnant war ein schöner Mann mit ausgesuchten Manieren, trotzdem … Was trotzdem?, unterbrach sie sich selbst angesichts dieses eigenwilligen Gedankens. Es gab in ihren Augen nichts, was für Jürgen Göde sprach, am wenigsten die Tatsache, dass er den Zug bei der falschen Bahnstation verlassen hatte, und sie bereute es beinahe, ihm ihre Hilfe angeboten zu haben.
    Da stellte er schon seinen Koffer neben der Straße ab und sah sie so fragend an, als könne er nicht glauben, dass sie es ernst meinte. Damit stachelte er ihren Stolz an, und sie forderte ihn auf, ihr vom Pferd zu helfen.
    Er fasste sie so sanft um die Taille, dass sie befürchtete, er könne sie nicht festhalten, doch als er sie aus dem Sattel hob, war sein Griff gerade fest genug, um das zu verhindern. Die Herren, die ihr in Berlin bei ihren Ausritten im Tiergarten aus dem Sattel geholfen hatten, waren kühner gewesen. Andererseits hatte ihr gerade das nie so recht gefallen.
    »Binden Sie Ihren Koffer am Sattel fest! Was haben Sie da eigentlich hineingepackt, Ziegelsteine?«
    Das Letzte kam ihr unwillkürlich über die Lippen, da Jürgen Göde einige Kraft aufwenden musste, um den Koffer hochzustemmen.
    »Nein, nur ein wenig Kleidung und ein paar Bücher«, antwortete er, während er den Koffer mit ihren Steigbügelriemen festband.
    Als dies geschehen war, trat er aufatmend zurück. »So müsste es gehen!«
    »Dann sollten wir aufbrechen. Zum Mittagessen werden wir ja nicht mehr rechtzeitig kommen, aber ich lasse uns einen kleinen Imbiss auf der Terrasse servieren.« Mit diesen Worten fasste Nathalia die Zügel ihrer Stute und spazierte davon.
    Jürgen Göde überwand seine Verblüffung erst, als sie bereits etliche Schritte voraus war, und folgte ihr zögernd. In ein Buch vertieft, hatte er den Schaffner nicht richtig verstanden und geglaubt, er wäre an seinem Zielbahnhof angekommen. Nun hatte er etliche Kilometer Fußmarsch zurückgelegt und mindestens noch die doppelte Strecke bis zum Gut seines Großonkels vor sich. Der knappe, nicht gerade freundliche Tonfall, mit dem der alte Graf ihn aufgefordert hatte, die Ferien heuer bei ihm zu verbringen, hatten ihn so verärgert, dass er am liebsten gar nicht nach Nehlen gefahren wäre. Doch nach einigem Überlegen hatte er dem Drängen seiner Mutter nachgegeben, die außer ihm noch zwei Töchter zu versorgen hatte. Sie hatte ihn beschworen, alles zu tun, um sich dem reichen

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