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Julischatten

Julischatten

Titel: Julischatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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beschwichtigend die Hände. »Komm erst einmal an, wir reden morgen weiter. Und schlaf gut, ja?«
    Sim rang sich ein »Du auch« ab. Sie duschte und ging ins Bett. Doch der Schlaf wollte nicht kommen. Es war warm – trotz des offenen Fensters. Die Grillen zirpten und Sim hörte das leise Schnauben der Pferde. In der Ferne heulte ein Kojote und Juniper, die weiße Wolfshündin, antwortete.
    Sim war todmüde und gleichzeitig völlig aufgedreht. Es war die Wut in ihrem Bauch, die sie nicht schlafen ließ. Und die Angst. Die Angst, ohne ihren treuesten Freund klarkommen zu müssen, wo es doch nichts gab da draußen, was sie von ihm ablenken konnte.
    Keinen Alkohol und keine Drogen. Als ob sie ein süchtiger Freak wäre. 7:30 Uhr aufstehen und bis 16 Uhr arbeiten. Das klang verdammt nach Arbeitslager. Ich will immer wissen, wo du bist… Wo, zum Teufel, sollte sie denn hingehen?
    Jetzt hätte sie wirklich einen kräftigen Schluck vertragen können. Etwas, das sie herunterholen würde von ihrem Zorn und ihr helfen würde einzuschlafen. Aber mit Sicherheit war das Blockhaus ihrer Tante eine alkoholfreie Zone. Sonst wäre sie schließlich nicht hier.
    Jimi betrachtete seinen Freund, der mit Kopfhörern auf seinem Bett lag und mit geschlossenen Lidern alten Lakota-Gesängen lauschte. Lukas hatte sich in seine Welt zurückgezogen, an irgendeinen Ort in seinem Kopf, an dem niemand ihn erreichen konnte. Jimi kannte das. Wenn er Lukas jetzt anspräche, würde der Freund ihn nicht hören, obwohl er Ohren wie ein Luchs hatte.
    Er machte sich Lukas’ geistige Abwesenheit zunutze und ging die paar Meter nach drüben in den Präsidentenpalast. Der Präsidentenpalast war das große Doppelhaus mit vier Schlafzimmern und zwei Bädern, in dem Bernadine Jumping Eagle mit Tyrell, ihrem fünfundzwanzigjährigen Sohn, und sieben Pflegekindern wohnte. Misty, die Jüngste, war acht, dann kam der zwölfjährige Trent. Zwei Mädchen – Debbie und Tunie – hatten selber kleine Kinder, obwohl sie noch nicht mal achtzehn waren. Außerdem wohnten die beiden vierzehnjährigen Cousins Marcus und Nunpa und der sechzehnjährige Chance im Haupthaus. Lukas, die dreizehnjährige Roxie, Teena (sie war sechzehn) und er selbst wohnten in einem baufälligen Trailer, der rund fünfzig Meter entfernt unter einer Pappel stand.
    Das große Haus mit den vielen Zimmern wurde von allen Präsidentenpalast genannt, weil es ein Geschenk von Bill Clinton an Bernadine war, nachdem 1999 ein Tornado ihren alten Trailer in Oglala dem Erdboden gleichgemacht hatte. Präsident Clinton hatte Bernadine die Super-Mom von Pine Ridge genannt und dafür gesorgt, dass sie und ihre vielen Pflegekinder das Haus bekamen. Die Geschichte von Super-Mom, der großartigen Bernadine Jumping Eagle, die sich rührend um obdachlose Waisenkinder kümmerte, hatte damals in allen Zeitungen gestanden. Aber da hatte Jimi noch bei seinem Großvater und Lukas bei seiner Mutter gelebt, und was in der Zeitung stand, hatte sie nicht die Bohne interessiert.
    Ein Zuhause mit einem eigenen Bett zu haben, war die eine Seite der Medaille, doch mit einer Super-Mom hatte Bernadine wenig zu tun. Und das große Haus auch nichts mit einem Palast – jedenfalls nicht mehr, nachdem Bernadine und verschiedene Kids zwölf Jahre darin gehaust hatten. Die Zimmer waren heruntergekommen, die Möbel abgeschabt und überall lagen Klamotten und Unrat herum, weil sich niemand verantwortlich fühlte, am allerwenigsten die Hausherrin. Sie war der Meinung, dass ihre Pflegekinder für Ordnung zu sorgen hatten, wo sie ihnen doch ein Dach über dem Kopf und drei Mahlzeiten am Tag ermöglichte.
    Jimi sah das anders, aber was sollte er machen?
    Bernadines Zimmer war für die Kids tabu. Jimi hatte hin und wieder einen Blick hineinwerfen können und gestaunt. Es war sauber und ordentlich, die hellen Möbel gepflegt, vor den Fenstern hingen violett schimmernde Vorhänge. Der Bildschirm des Plasmafernsehers, der in Bernadines Zimmer flimmerte wie ein buntes Kaminfeuer, war riesig.
    Bernadine Jumping Eagle schien es an nichts zu fehlen. Was nicht weiter verwunderlich war, schließlich kassierte sie für elf Jugendliche und zwei Babys Pflegegeld vom Staat, das war mit Sicherheit ein ansehnliches Sümmchen. Jimi nahm an, dass davon auch der Fernseher und die Möbel abgefallen waren. Manchmal hatte er nicht übel Lust, Bernadine beim Jugendamt anzuzeigen. Aber es war nicht nur er, der von ihr abhing, sondern auch Lukas und all die

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