Julischatten
mitgehen lassen. Hinweise von Leuten, deren Grundstück ans Freibad grenzte, deuteten darauf hin, dass ihre Tochter Simona an diesem Einbruch beteiligt war.
Einbruch. Das klang nach Verbrechen. Dabei hatte der Abend ganz harmlos angefangen. Es war eine warme Sommernacht gewesen und sie hatten zusammen im Bushäuschen gesessen und Bier getrunken. Am Ende waren nur noch sie und Cook (der eigentlich Alexander Koch hieß), ihre beste Freundin Nadja und Kull, der Sohn des Bürgermeisters, übrig gewesen.
Im Nachhinein konnte Sim nicht einmal mehr sagen, wer eigentlich die idiotische Idee gehabt hatte. Mit einer Flasche Whisky waren sie zum Freibad gezogen und durch ein Loch im Maschenzaun gekrochen. Im Mondlicht hatten sie zusammen die Flasche geleert und waren im Becken geschwommen (nackt). Es war romantisch gewesen. Sim hatte sich frei und erwachsen gefühlt. Und schön. Bereit für alles, was kommen mochte und was sie seit Wochen in ihren Tagträumen herbeisehnte: dass aus Cook und ihr ein Paar wurde.
Immer, wenn sie an diese Nacht zurückdachte, ging ihr eine Liedzeile der alten DDR-Rockband Lift im Kopf herum, deren Musik ihre Mutter so oft hörte: Fällt der Mond in ihren Teich, wird in ihrem Schattenreich jede Frau katzengrau. Königin bis in den Tau.
Der Mond fiel nicht in den Teich, sondern ins Schwimmbecken. Diese Nacht würde Sim nicht vergessen. Niemals. Nicht nur wegen des Mondes und des blödsinnigen Einbruchs. In dieser Nacht war ihre Welt in Scherben gefallen.
Einen Versuch, den Einbruch abzustreiten, machte Sim erst gar nicht. Dazu fehlte ihr an diesem schrecklichen Morgen einfach die Kraft. Vor Enttäuschung und Scham war sie wie gelähmt und leugnen wäre ohnehin sinnlos gewesen. Sie sah völlig verheult aus und abgesehen davon hatte besagter Nachbar sie dabei beobachtet, wie sie durch den Zaun gestiegen waren.
Sim und Nadja waren fünfzehn, Cook und Kull gerade noch siebzehn. Alle vier wurden sie vom Jugendrichter zu je zwanzig Arbeitsstunden verdonnert: das Becken im Freibad reinigen (eine ziemlich schmierige Angelegenheit), Büsche und Blumen pflanzen, Papierkörbe leeren. Außerdem mussten sie für die kaputte Tür aufkommen und das gestohlene Geld ersetzen.
Sie waren das Topthema im Dorf. Cook würdigte sie keines Blickes mehr und sein Freund Kull verbreitete überall, dass das Ganze Sims Idee gewesen war und sie Cook dazu angestiftet hatte, die Tür zum Badhäuschen aufzubrechen. Sim rechtfertigte sich nicht, es wäre ohnehin zwecklos gewesen. Sie ließ die Leute denken, was sie wollten. Kull war der Sohn des Bürgermeisters und Cook sein bester Freund. Es war von vornherein klar, wem sie mehr glauben würden.
Das lag jetzt ein Jahr zurück. Damals hatte Sim versucht, die Sache mit Cook zu vergessen. Über das, was in jener Nacht passiert war, redete sie mit niemandem. Was wirklich wehtut, behält man lieber für sich.
Wem hätte sie auch davon erzählen sollen? Ihrer Mutter etwa? Oder ihrem Vater? Undenkbar. Merle schied auch aus – sie war nach dem Abi für ein freiwilliges soziales Jahr nach England gegangen. Und was Nadja, ihre (ehemals) beste Freundin anging: Nadja konnte Sim nicht verzeihen, in was für einen Schlamassel sie sie geritten hatte, und war seit jener Nacht unversöhnlich. Nicht mal in der Schule wechselten sie noch ein Wort miteinander. Nadja erzählte allen, Sim sei völlig durchgeknallt, und scheinbar fiel es den meisten nicht schwer, ihr zu glauben.
Manche Menschen wurden mit einem unerschütterlichen Selbstbewusstsein geboren, doch Sim gehörte nicht dazu. Sie wollte und konnte mit niemandem über diese Nacht reden, über den Film, der in Endlosschleife in ihrem Kopf ablief. Aber ganz alleine schaffte sie es dann doch nicht, damit klarzukommen. Und weil sie nicht noch einmal so gedemütigt und verletzt werden wollte, machte sie dicht.
In dieser Zeit wurde sie zur störrischen Einzelgängerin und der Tequila ihr treuer Gefährte.
Sim war auf der Suche nach Anerkennung, Freundschaft, Liebe. Aber gleichzeitig hatte sie Angst davor, sich zu verlieben und die Tür zu ihrem Herzen noch einmal so weit zu öffnen. Die Mauern, die sie um sich baute, waren dick und hoch. Sie ließen niemanden rein und sie selbst nicht mehr raus. Ihr Leben rutschte immer mehr aus den Fugen, bis zwei Jungen aus dem Dorf sie in einer Nacht vor fünf Wochen halb ertrunken aus dem Dorfteich fischten. Sim hatte 2,1 Promille im Blut, ihr Kopf war schwer wie Zement und sie konnte sich an nichts
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