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Julischatten

Julischatten

Titel: Julischatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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Gefühl gab, unschlagbar zu sein – für eine Weile. Nach der kurzen Euphorie kam der große Katzenjammer und unweigerlich der Wunsch, sich so schnell wie möglich wieder unschlagbar zu fühlen.
    Obwohl das Kokain aus den Blättern des immergrünen Kokastrauches gewonnen wurde, war seine Wirkung zerstörerisch. Anfangs hatte Jimi sich eingeredet, was von Mutter Erde kam, konnte nicht schlecht sein. Für die Anden-Indianer war der Strauch heilige Medizin. Ihre Medizinmänner erhielten im Kokarausch Visionen.
    Inzwischen hatte Jimi erlebt, dass der Kokainrausch die Menschen die dümmsten Dinge tun ließ, und schlimmer noch, er wusste, dass der Konsum von Koks Vergiftungen und Hirnschäden nach sich ziehen konnte. Einer der unschlagbaren Gründe dafür, warum er selbst die Finger davon ließ.
    Wenn Jimi darüber nachdachte, konnte er selbst nicht genau sagen, wann und wie er in den ganzen Schlamassel hineingeraten war. Er war gerade zehn geworden, als Tyrell ihn zum ersten Mal auf Botengang geschickt hatte. Jimi sollte jemandem ein Päckchen vorbeibringen und Tyrell versprach ihm dafür eine Taschenlampe. Jimi hatte den Auftrag ausgeführt, hatte sich wie verrückt über die billige Wal-Mart-Taschenlampe gefreut und nichts kapiert. So war es weitergegangen. Erst kleine Geschenke als Gegenleistung und schließlich Geld. Was er da unter die Leute brachte (anfangs Gras, später Koks), war ihm erst aufgegangen, als er anfing, nachzudenken und sich die Empfänger von Tyrells Zeitungsbriefchen genauer anzusehen.
    Jimi verachtete sich selbst für das, was er tat, und mehr als einmal hatte er sich vorgenommen aufzuhören. Aber er steckte schon zu tief mit drin. Und seit das Kokainpäckchen in seinem Baumversteck lag, war an Aufhören sowieso nicht zu denken, denn dann könnte er ebenso gut gleich zu Tyrell gehen und sagen: »He, Bro, ich habe, was du vermisst.«
    Ihm blieb gar keine andere Wahl, als die nächsten paar Wochen noch durchzuziehen. Er hatte seine Fühler vorsichtig nach einem potenziellen Käufer ausgestreckt und seit ein paar Tagen schien es so, als wäre er fündig geworden. Nur die Nerven nicht verlieren! Bald wurde er achtzehn und dann würde er die ganze verdammte Scheiße hinter sich lassen. Er würde sich aus Tyrells Zimmer holen, was ihm gehörte, und mit seinem Hunka-Bruder aus dem Res verschwinden.
    Da gab es nur ein Problem: Lukas wollte nicht fort, er hatte sich in den Kopf gesetzt, Medizinmann zu werden wie der alte He Dog. Aber wenn Jimi ihm alles erzählte, einfach alles, dann würde er schon begreifen, warum es sein musste. Lukas würde seinen besten Freund nicht im Stich lassen. Sie würden zusammen nach Mexiko gehen und sich dort ein besseres Leben aufbauen. Ein gutes Leben für sie beide, mehr wollte Jimi nicht.
    Mit Sicherheit würde Lukas ausrasten, wenn er erfuhr, dass sein bester Freund ein Koks-Dealer war. Er wäre bitter enttäuscht. Der Gedanke, Lukas könnte sich von ihm abwenden, war furchteinflößender als die Angst, von Tyrell entlarvt zu werden.
    Einmal, es war jetzt ungefähr drei Jahre her und Tyrell war gerade vom Dealen mit Marihuana auf Kokain umgestiegen, hatte Jimi versucht, Lukas von den Drogen zu erzählen. Er hatte sich gewunden wie ein Wurm, bis Lukas schließlich losgelachte hatte. »Ich weiß, dass es kein Süßgras ist, was du da ab und zu rauchst, Jimi«, hatte er gesagt. »Mach dir deswegen keine Gedanken, ich verkrafte das.«
    Daraufhin hatte Jimi nicht mehr den Mut aufgebracht weiterzureden. Er hatte es einfach nicht fertiggebracht, von Tyrell, den Fahrten nach Denver und dem Kokain zu erzählen. Lukas Brave war ein Träumer, er glaubte an das Gute im Menschen. Und er glaubte an das Gute in Jimi Little Wolf. Jimi wollte ihm diesen Glauben nicht zerstören.
    »Ich gehe schlafen«, sagte er und ließ die Kippe in das Gurkenglas neben der Bank fallen.
    »Sweet Dreams«, sagte Lukas. »Ich bleibe noch ein bisschen sitzen.«

4. Kapitel
    Völlig verzweifelt suchte Sim nach einer Erklärung dafür, wie sie in diese missliche Lage geraten war: Verschnürt wie ein Paket lag sie im Gras und dunkle Gesichter beugten sich kopfschüttelnd über sie. Sie hörte den dumpfen Schlag einer Trommel und Gesang, der so fremd und furchterregend war, dass ihr der Schweiß aus den Poren trieb. Unter den wildfremden Gesichtern tauchte plötzlich eines auf, dass ihr bekannt vorkam. Narbige Wangen, schräge braune Augen und ein spöttisches Lächeln auf den Lippen. Jimi Little Wolf.
    Ihre

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