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Julischatten

Julischatten

Titel: Julischatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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anderen.
    Bevor Jimi das Haus betrat, atmete er noch einmal tief durch. Tyrell durfte nicht merken, wie angespannt er war. Er durfte die Angst nicht spüren, die Jimis Herzschläge beschleunigte. Alles ist wie immer, so redete er sich Mut zu. Tyrell verdächtigte ihn nicht. Eine Menge Leute konnten das Päckchen mit dem Kokain genommen haben. Er musste nur cool bleiben.
    Fucking-Tyrell saß mit Debbie und Chance auf der Couch vor dem Fernseher und guckte Spiderman. Eine Stimme aus dem Fernseher mahnte: »Aus großer Kraft folgt große Verantwortung, merk dir das.«
    Jimi blieb einen Moment neben der Couch stehen. »Komme ich ungelegen?«, fragte er schließlich.
    Tyrell seufzte und stemmte sich aus dem Polster. Jimi folgte ihm zu seinem Zimmer, das abgeschlossen war. Der Schlüssel hing um Tyrells stiernackigen Hals. Aus dem Nachbarraum (Bernadines Reich) ertönte lautes abgehacktes Schnarchen und Tyrell grinste kopfschüttelnd.
    Er schloss auf und knipste das Licht an. Das Bett mit der zerwühlten Bettwäsche nahm einen Großteil des Raumes ein. Am Fußende stand ein riesiger Plasmafernseher, obwohl Tyrell sowieso meistens mit den anderen im Wohnzimmer vor der Glotze hing.
    Jimi kannte jeden Winkel in Tyrells Zimmer, der mit Blicken erfassbar war. Ein verschlossener Spind stand in einer Zimmerecke und ein Kleiderschrank ohne Türen in einer anderen. Im Regal an der Wand befand sich nur eine teure Musikanlage und auf dem Tisch unter dem Fenster entdeckte er eine Neuanschaffung: ein Computer mit Fünfundzwanzig-Zoll-Flachbildschirm.
    Wie immer, wenn er hier war, blieb sein Blick an dem Spind mit dem fetten Vorhängeschloss hängen. Jimi war felsenfest davon überzeugt, dass sich irgendwo in diesem Raum das kleine Holzkästchen befand, das ihm gehörte. Es war unscheinbar, aber sein Inhalt von großem Wert. Damals, vor zehn Jahren, als er todunglücklich und völlig verstört ins Haus von Bernadine gekommen war, hatte Tyrell seine Sachen durchwühlt – dessen war er sich sicher. Seitdem war das Kästchen verschwunden.
    Deshalb blieb Jimi nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen und auf den richtigen Zeitpunkt zu warten, um das Kästchen mit seinem wertvollen Inhalt aus Tyrells Fängen zu befreien. Vorher konnte er nicht von hier weg.
    Es war jetzt fünf oder sechs Wochen her, da hatte der Zufall ihm einen Trumpf in die Hand gespielt, eine Gelegenheit, es Tyrell mit gleicher Münze heimzuzahlen. Debbie hatte eine Party gefeiert. Kurz zuvor waren Chance und Tyrell mit einer frischen Ladung Kokain aus Denver zurückgekommen und Tyrell wollte wie immer das Kokain unter die Leute bringen. Das meiste in Zwei-Gramm-Zeitungsbriefchen, aber gelegentlich hatte er auch größere Deals am Laufen.
    Im großen Haus war es an diesem Nachmittag zugegangen wie in einem Taubenschlag. Tyrell hatte getrunken oder sich anderweitig zugedröhnt. Trotzdem stieg er in seinen Wagen und wollte wegfahren, als er anscheinend etwas vergessen hatte und noch mal ins Haus zurücklief.
    Jimi war kurz darauf aus dem Präsidentenpalast gekommen und an Tyrells Wagen vorbeigegangen, als er die in Zeitungspapier gewickelten Päckchen auf dem Beifahrersitz liegen sah. Ohne eine Sekunde nachzudenken, hatte er durch das offene Fenster gegriffen und eines davon unbemerkt an sich genommen.
    Unbemerkt? – Das war die große Frage, die ihn seither verfolgte. Als Tyrell ein paar Minuten später wieder aus dem Haus kam und losfuhr, war Jimi längst auf der Koppel bei den Pferden gewesen. Unterdessen waren drei Autos gekommen und wieder abgefahren. Vermutlich hatte Tyrell erst bei der Abwicklung seiner Deals gemerkt, dass eines der Päckchen fehlte. Jeder im Reservat konnte das Kokain genommen haben.
    Tyrell hatte sich nichts anmerken lassen, bis heute nicht. Aber Jimi spürte, dass Bernadines Sohn ihn beobachtete. Wenn er anfing, das Koks im Res unter die Leute zu bringen, wäre er geliefert. Er musste verdammt vorsichtig sein.
    Fucking-Tyrell war groß und bullig wie seine Mutter. Ein fusseliger Schnurrbart zierte sein Kinn und meistens trug er ein blaues Bandana auf dem Kopf. Seine groben Gesichtszüge hatte er ebenso von Bernadine geerbt wie seine verkorkste Figur. Tyrell war nicht besonders schlau (Lukas behauptete, er hätte den Intelligenzquotienten eines Maulwurfshügels), aber er war gerissen und stark.
    Jimis Blick fiel auf die Hanteln am Boden, mit denen Tyrell täglich seine Armmuskeln trainierte. Jimi kannte seine eigenen

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