Julius Lawhead 2 - Flammenmond
Freund hat recht. Die Stämme der Plains führen den Tanz seit Urzeiten auf. Es ist ein Ritual der Erneuerung, der Wiedergeburt. Die Tänzer durchleiden große Entbehrungen.«
Ich erinnerte mich, irgendwo einmal etwas von einem blutigen Martyrium gehört zu haben, bei dem sich Männer die Haut durchbohrten. Jeglicher religiöse Wahn war mir fremd und diese Zeremonie zählte ich auf jeden Fall dazu.
»Großvater, warum hast du an den Tänzen teilgenommen?«, fragte Brandon und streifte sein Haar aus dem Gesicht. Die familiäre Anrede überraschte mich im ersten Moment, dann fiel mir ein, dass es eine Art Ehrbezeugung gegenüber älteren Stammesmitgliedern war.
Red Deer tauschte einen bitteren Blick mit seiner Tochter.
»Meine Frau ist bei einem Autounfall gestorben. Es war meine Schuld. Ich hatte zu viel Alkohol getrunken. In den Jahren danach habe ich noch mehr getrunken und wäre wohl daran gestorben. Ich kam nicht darüber hinweg. Der Große Geist hat mir einen anderen Weg gezeigt. Ich habe getanzt und bin ein neuer Mensch geworden«, sagte er feierlich und faltete seine alten, knotigen Finger.
Cloud tätschelte ihrem Vater die Hände und stand auf, um abzuräumen.
Amber half ihr.
Brandon schien in seine eigene Stille zu versinken, doch dann fand er seine Sprache wieder. »Leider kann ich nicht tanzen. Die Sonne würde mich töten.«
Red Deer stand auf und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Ich denke, ich habe eine Säge, mit der wir dich von diesem schrecklichen Eisenring befreien können. Ich werde sie suchen.«
»Danke«, erwiderte Brandon leise.
»Das wäre großartig«, setzte ich hinzu und sah dem alten Indianer nach, der die Hütte durch die Vordertür verließ. Brandon war wieder in Gedanken versunken, bis Red Deer zurückkehrte. Der Alte hatte das richtige Werkzeug und brachte sogar noch ein zweites Sägeblatt mit.
Wir fanden heraus, dass es am besten war, wenn Brandon sich weit vorbeugte und Kopf und Hals auf den Tisch stützte. Auf diese Weise drückte die Platte den Eisenring hoch, und es bestand weniger Gefahr, ihn zu verletzen.
Red Deer zündete sich eine Zigarette an und pustete den Tabakqualm unter leisem Murmeln in vier Richtungen. Dann blies er sich den grauen Dunst in die Hände und verteilte ihn über Brandon.
Brandon atmete den heiligen Rauch tief ein und schloss die Augen. Takoda Red Deers Medizin war stark, und als seine heilenden Hände ihn berührten, flammte der Terror nicht zu neuem Leben auf. Brandons Seele war still, endlich still.
Er stützte die Stirn auf den Tisch und die beinahe schmerzhafte Anspannung, die seinen Körper seit dem Erwachen fest im Griff gehabt hatte, schwand.
Red Deer setzte die Säge an und sagte einige Worte in seiner Muttersprache. Brandon verstand nur wenig Lakota Sioux. Die paar Sätze, die er in der Uni aufgeschnappt hatte, reichten nicht, doch in dem Gebet lag Kraft, das fühlte er auch so. Der Eisenring vibrierte. Red Deer sägte und hatte einen Rhythmus gefunden.
Doch auch wenn der Ring bald verschwunden war, Brandon würde doch nicht frei sein. Ihm blieben Tage, vielleicht eine Woche, bis man ihn finden und hinrichten würde. Er hatte eine junge Frau getötet. Der Mord in der Tankstelle ließ sich nicht ungeschehen machen. Er war auf dem Überwachungsvideo zu sehen, Brandon hatte sich absichtlich so gedreht, dass die Kamera genau in seine Richtung zeigte. Kurz beschlich ihn die Hoffnung, in dem altmodischen Aufnahmegerät wäre gar kein Film eingelegt gewesen. Er hatte es damals gar nicht weiter kontrolliert, sondern einfach eine andere Kassette aus dem Regal genommen und vor Coes Augen angezündet.
Nein, er würde sterben und es war besser so. Mit dieser Schande wollte er nicht weiter existieren, nicht noch einmal Jahrzehnte immer wieder durchleben, wie Coe ihn missbrauchte. Dennoch war er dem Schicksal dankbar für die wenigen Tage in Freiheit, die ihm noch gegeben waren. Er würde Zeit haben, Abschied zu nehmen von seinen Freunden und seiner großen Liebe Christina, und vielleicht würde der Medizinmann ihm sogar helfen, seinen Körper zu reinigen und seine Seele auf das Jenseits vorzubereiten.
Red Deer hörte auf zu sägen und Julius übernahm das Werkzeug von ihm.
»Ich geh schlafen«, sagte Amber in die Stille hinein und verließ das Haus. Cloud war schon vor einer Weile verschwunden.
Brandon öffnete die Augen. Halb verdeckt durch seine Haare erkannte er Christina, die mit verkrampften Händen am Tisch saß.
Als sie
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