Julius Lawhead 2 - Flammenmond
freiwillig gefolgt ist, hast du nichts erzwungen. Ich weiß, du hättest es gekonnt, aber ich verstehe nicht, warum die alten Legenden davon sprechen, die Kinder Jumlins wären böse Geister und brächten den Menschen den Tod. Natürlich habe ich miterlebt, was mit den zwei Frauen geschehen ist, doch das war ein Krieg unter euresgleichen.«
Ich spürte, der alte Mann würde mich nicht verurteilen, wenn ich die Wahrheit aussprach. »Vor vielen Jahren, als eure Legenden entstanden, haben wir noch bis zum letzten Herzschlag getrunken. Wir haben getötet, jede Nacht, aber diese Zeiten sind vorbei.«
»Hast du es auch getan?«
»Ja, lange.«
»Und Flying Crow?«
»Er nicht, er ist nach dieser Zeit geboren worden.«
Der alte Indianer nickte langsam, dann griff er nach einer perlenbesetzten Tasche. Er hatte sie den ganzen Abend immer bei sich getragen. Jetzt reichte er mir daraus eine kleine tönerne Pfeife, in der Form eines liegenden Bären. Sie war bereits gestopft.
»Rauchen wir«, sagte er schlicht und zog eine zweite Pfeife hervor. Unter dem Tabak witterte ich den würzigen Geruch von etwas, das ich nicht kannte.
Red Deer hielt ein Stöckchen in das Feuer, das den Tanzplatz erhellte, und entzündete unsere Pfeifen.
Ich weiß nicht, was wir in jener ersten Nacht rauchten, aber es brachte mich dazu, nach einer Trommel zu verlangen und sie bis zum Sonnenaufgang zu schlagen. Ich sang Lieder, deren Worte ich nicht verstand, aber sie wiederholten sich, und so lernte ich die Verse.
Als sich der Morgen schließlich als feine Linie am Horizont abzeichnete, wurden die Trommeln langsamer und verstummen schließlich ganz. Brandon taumelte noch ein Stück, dann blieb er stehen und schwankte wie ein gerade erwachter Schlafwandler. Er hatte die ganze Nacht durch getanzt.
Die Musiker nutzten die Zeit, bevor die anderen Tänzer kamen, und standen auf, um sich die Beine zu vertreten.
Ich ging zu meinem Freund und fasste ihn an den Schultern. Brandon war benommen und starrte durch mich hindurch.
»Die Sonne geht auf, du musst dich zur Ruhe legen«, sprach ich und rief ihn zugleich mit dem Eid, der uns verband. Nach und nach wurde sein Blick klarer.
Frank, der junge Mann, von dem ich getrunken hatte, kam und brachte uns einige Decken, während Red Deer die Sehnen, die Brandon an den Baum fesselten, mit einem kleinen Messer durchtrennte. Ich führte Brandon zu dem Grab, das sie für ihn geschaufelt hatten.
Red Deer reichte mir die durchtrennten Lederschnüre und ich hielt sie, während Brandon in sein Grab stieg, dann legte ich die Sehnen auf seinem Bauch zusammen und er faltete seine Hände darüber.
»Diesmal wirst du keine Erde im Gesicht haben«, versprach ich.
Brandon schwieg entrückt. Ich saß bei ihm, bis er die Augen schloss, dann nahm ich ihm den Salbeikranz von der Stirn und bedeckte sein Gesicht mit einem Stofftaschentuch.
Frank half mir, die Decken über dem Körper zusammenzuschlagen, mit denen er die Grube zuvor ausgelegt hatte, danach schaufelten wir gemeinsam Erde hinein, bis das Grab eingeebnet war.
Die vielen Zuschauer machten mich nervös. Was, wenn einer der Männer neugierig wurde und ihn wieder ausgrub, was wenn …?
Red Deer trat zu mir. Es war, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Ihm wird nichts passieren. Es ist immer jemand hier. Wir werden jetzt tanzen, die ganze Zeit bis zum Sonnenuntergang.«
»Ich bin mit der Dunkelheit zurück«, sagte ich und kehrte dem Tanzplatz schweren Herzens den Rücken.
Das Plateau war nicht mehr so verlassen und still wie am Abend bei unserer Ankunft. In der Zwischenzeit waren Frauen, Männer und auch Kinder eingetroffen und alle waren fleißig damit beschäftigt, Zelte aufzubauen und Essen vorzubereiten. Die Hälfte von ihnen kam von weiter her, es waren Verwandte von Red Deer, Lakota wie er und der junge John. Auch Amber musste unter ihnen sein. Ich rief meine Dienerin wortlos und fand sie, als sie Getränke aus einem Fahrzeug auslud. Sie schleppte Cola und Wasser zu einer Stelle, wo anscheinend für alle gekocht werden sollte. Ein halbes Dutzend Frauen heizten die Kohle an, andere kneteten Teig oder schnitten Fleisch.
Viele Menschen blickten mir irritiert hinterher. Meine Haut hatte seit über zweihundert Jahren keine Sonne mehr gesehen und schrie geradezu in die Welt, dass ich hier nichts zu suchen hatte und bei diesem höchsten Fest mehr als fehl am Platz war.
Ich lief mit gesenktem Haupt weiter und verbarg mein Gesicht vor dem erwachenden
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